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Adam (im Hintergrund) sucht seinen Weg.

© Lovis Dengler/Konzerthaus

Wilson meets Pärt: Adam und Medusa

Robert Wilsons inszeniert "Adam's Passion" auf Musik von Arvo Pärt im Konzerthaus am Gendarmenmarkt

Später wird ein Junge über den Laufsteg kommen und mit Bauklötzen spielen. Aus dem Schnürboden senkt sich das Gerüst eines Hauses herab, dann ein Stab, ein Speer in der Diagonalen. Ein Mann steht eine Ewigkeit mit dem Rücken zum Publikum, kaum merklich bewegt er Hände, Füße, dreht sich um, er ist nackt. Später wird ein Gazevorhang fallen und dahinter leuchtet, einer nach dem anderen, eine Batterie von Scheinwerfern auf. Fiat lux. Eine Frau im strengen antiken Gewand durchquert den mit Trockeneisnebel gefüllten Raum, man möchte im Konzerthaus erstarren bei ihrem Medusenanblick.

Das ist der blaue Robert-Wilson-Planet. Das ist seine Mythologie, archaisch und stets auch, wegen des Jungen, eine Unschuldserzählung, wie in den Filmen Steven Spielbergs. Wilsons Spielwelt trifft in „Adam’s Passion“ auf Stücke des tief religiösen Komponisten Arvo Pärt. Sie berühren einander kaum, und doch: Pärts mystisches Christentum, inspiriert vom orthodoxen Mönchswesen, findet in diesem Theatergötterhimmel ein visuelles Echo. Sei es, dass im Christenglauben der heidnische Anteil von Anfang an beträchtlich war, sei es, dass der Regisseur aus Texas, wie bei seinem Luther-Stück im Boulez-Saal, tief von der harten Bibelfrömmigkeit seiner Herkunft geprägt ist. Wilson hält die Religion auf Distanz. Sie bringt die Menschen auseinander, sagt er. Doch Musik stiftet Gemeinschaft.

Eine Messe für den Deus ex Machina

Da hat er sich mit dem estnischen Hymniker getroffen. Die Uraufführung von „Adam’s Passion“ war 2015 in Tallinn. Adam, der erste Mensch, wartet, träumt, leidet. Hier erschafft ihn kein Gott, aber die Musik. Die nackte Kreatur (Michalis Theophanous) belebt sich in dem Maße, in dem die Stimmen ihn umhüllen. Der Sündenfall fällt aus. „Sequentia“ ist die erste von vier Kompositionen, die sich zu einem spirituellen Abend zusammenfügen, in einer Art Crescendo über die Stücke hinweg, von „Sequentia“ für Streichorchester und Schlagwerk zu Beginn bis zum „Miserere“ für Solosänger, Chor und Orgel. Eine Messe für den Deus ex Machina.

Auf dem Orgelrang haben das Konzerthausorchester und Dirigent Tonu Kaljuste ihren Platz, die Bühne gehört den Akteuren. Neben Adam im gleichnamigen Kostüm ist das die hohe Frau, geschritten mehr als getanzt von Lucinda Childs; mit der Choreografin hat Wilson schon bei „Einstein on the Beach“ zusammengearbeitet. Es ist, als zögen die Klänge an ihren Schultern. Doch sie bleibt geerdet, ungerührt, während Adam, der einsame, auf dem Absprung zu sein scheint – und sein gealtertes Ebenbild mit Mütze über die Bühne schlurfen sieht. Und das Kind. Die Lebensalter ziehen vorüber, Erlösung kündigt sich bei diesem Gastspiel in der Karwoche nicht an. Aber Vertiefung und Befreiung gibt der Gesang, er löst sich von seinem religiösen Grund.

Das älteste Stück ist Arvo Pärts „Tabula rasa“ von 1977. Sayako Kusaka und Johannes Jahnel, die beiden Geiger, lassen die Vögel zwitschern, dass man sich in Höhen wähnt, wo es kaum mehr Luft zum Atmen gibt. Bedrohlich dumpfes Schlagwerk, tröstliche Orgel: Das ist der Weg, der zurückgelegt wird. Später schwebt die Wilson-Leiter über dem Boden, wachsen Zweige aus Menschen. Ein Bild der Melancholie.

Noch einmal an diesem Donnerstag, 20 Uhr, Konzerthaus am Gendarmenmarkt.

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