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Kultur: Ärger im Paradies

Zwei Mannheimer Ausstellungen widmen sich dem Heiligen Land als Sehnsuchtsziel der Kreuzfahrer

Schöner dürfte nur das Paradies gewesen sein. Doch wer die braunstichigen Fotografien vom Heiligen Land betrachtet, dem drängen sich in diesen Tagen ganz andere Bilder auf. Wunsch und Wirklichkeit, weit mehr als nur einen Wimpernschlag voneinander entfernt: hier die zwischen 1860 und 1890 entstandenen Aufnahmen aus Jerusalem, Bethlehem und Beirut, die wegen der damaligen Fototechnik eine weitgehend menschenleere Idylle vorgaukeln; dort die aktuellen Fernsehbilder aus Israel und dem Libanon, voller Chaos, Hass und Leid.

„Ins Heilige Land. Pilgerstätten von Jerusalem bis Mekka und Medina. Photographien des 19. Jahrhunderts“: So der Titel des ergänzenden Teils einer Doppelausstellung über historische Wechselwirkungen zwischen Orient und Okzident in den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen. Neben den durchweg exquisiten, im heutigen Israel, Libanon, Syrien und Saudi-Arabien entstandenen Reisefotografien widmet sich auch die zweite, ambitioniertere Ausstellung den gemeinsamen Sehnsuchtszielen von Christen, Juden und Muslimen im Vorderen Orient. „Saladin und die Kreuzfahrer“ ist eine Gemeinschaftsproduktion der Mannheimer Museen mit dem Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle. Sie rekapituliert das Schicksal des christlichen Kreuzfahrerreichs zwischen der Eroberung Jerusalems 1099 und dem Fall von Akkon 1291.

Welch ein Glück für die Ausstellungsmacher, dass sich das mittelalterliche Ringen um Jerusalem um 1190 im Gegenüber zweier herausragender Persönlichkeiten verdichtet: Sultan Saladin, der über seine Lebenszeit hinaus die Muslime in einem Reich einen konnte und religiöse Maximen so streng wie keiner seiner Vorgänger befolgte. Und Richard Löwenherz, der blauäugige, für seine Tapferkeit gerühmte König von England.

Zeitgenossen und erst recht spätere Chronisten sahen in ihnen zwei Ritter ohne Fehl und Tadel – obwohl sie einander weder im Turnier oder Zweikampf noch im diplomatischen Ringen um Jerusalem jemals persönlich begegnet sind. Zwei Figuren von legendärem Zuschnitt, Stoff für Jahrhunderte, bis hin zu Saladins Auftritt in Lessings „Nathan der Weise“. Noch Kaiser Wilhelm II., der während seiner Orientreise 1898 Saladins Grab in Damaskus besuchte, schwärmte vom ritterlichsten aller Herrscher. Beider Aussehen ist, wie stets im Mittelalter, nur ungenügend verbürgt. In der Ausstellung ist eine unscheinbare Kupfermünze zu sehen. Sie zeigt die einzige Darstellung Saladins zu Lebzeiten aus der vom Bilderverbot eingeschränkten muslimischen Welt.

Man möchte sich trotzdem ein Bild machen. Eine historische Ausstellung, Löwenherz hin, Saladin her, ist kein Hollywood-Film, und so geht es in Mannheim nüchtern, oft etwas zu nüchtern zu. Auf Inszenierungen wird, wenn man vom Nachbau zweier Saladin-Sarkophage und einigen – missglückten – Schaubildern mit schwertschwingenden Kreuzrittern absieht, weitgehend verzichtet. Stattdessen bieten Ausstellung und Katalog eine Fülle von Karten, Tabellen und Zeittafeln. Das hat keinen spektakulären Schauwert, ist bei einem so vielschichtigen Thema jedoch ungemein nützlich.

Als man in Mannheim 1999 mit ersten Vorarbeiten zur Ausstellung begann, gab es George W. Bushs Kreuzzugsrhetorik noch nicht. Wohl aber stieg bereits damals das Interesse am interkulturellen Austausch zwischen westlicher und islamischer Welt, einem Austausch, der seine Unschuld noch nicht verloren hatte.

Zwar werden auch die Kriegszüge der miteinander konkurrierenden Ritterorden gegen die Muslime in der Ausstellung gewürdigt. Schließlich rief der glänzende Sieg Saladins bei Hattin und der anschließende Fall Jerusalems 1187 Richard Löwenherz erst auf den Plan. Interessanter als das Säbelrasseln bleibt jedoch die Frage, wie und warum Muslime und Kreuzfahrer nicht nur gegen-, sondern oft sogar relativ friedlich neben- und miteinander leben konnten.

Die Kreuzfahrer wollten vordergründig nur den freien Zugang zu den christlichen Pilgerstätten dauerhaft für den Westen sichern, allen voran zur Grabeskirche in Jerusalem mit der hochbedeutenden Reliquie vom „Wahren Kreuz Christi“. De facto errichteten die Johanniter, Templer und Deutschordensritter an der Küste der Levante das Königreich Jerusalem, die Grafschaft Tripolis, das Fürstentum Antiochia und die Grafschaft Edessa. Gewaltige Burgen, die aussehen, als stünden sie irgendwo im Rheintal oder an der Loire und auf so klingende Namen wie Grac des Chevaliers hören, künden bis heute vom Machtanspruch der Invasoren.

Neben diesen Herrschaftssymbolen entwickelte sich eine Alltagskultur, die im besten Fall Orient und Okzident miteinander verschmolz. Raffinierte Keramikglasuren und Glasschmelzverfahren, die unerreicht scharfen Damaszenerklingen oder Himmelsgloben und Astrolabien zur Bestimmung der Gestirne – Europa hat die Luxus- und Wissenskultur des Orients begierig aufgenommen. Bis in die Sprache hinein: Lehnwörter von Alkohol bis Zucker stammen aus dem Arabischen, ebenso unsere Zahlen.

Als sich die Kreuzfahrer nach der Besetzung Akkons durch die Mamelucken Ende des 13. Jahrhunderts nach Zypern, Rhodos und Malta zurückzogen, hatten sie auch zahlreiche Reliquien im Gepäck. Die Ausstellung zeigt wunderbare, mit feinen kalligraphischen Mustern bemalte muslimische Emailglasgefäße, die als Behälter für christliche Reliquien dienten. Wenn Gott wirklich im Detail steckt: Dort wäre er zu finden.

Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, bis 5. November. Katalog „Saladin und die Kreuzfahrer“ (Philipp von Zabern) im Museum 28 €, im Buchhandel 39,90 €. Katalog „Ins Heilige Land“ (Edition Braus) im Museum 24 €, im Buchhandel 39,90 €

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