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Herzlicher Blick auf die ostdeutsche Provinz. Annika Pinske wuchs in Frankfurt/Oder auf und studierte an der DFFB in Berlin.

© Alina Simmelbauer

"Alle reden übers Wetter" auf der Berlinale: Kommt gut durch

DFFB-Absolventin Annika Pinske und ihr feines Mütter-Töchter-Drama „Alle reden übers Wetter“ im Panorama.

Dieser Titel weckt Erinnerungen. „Alle reden übers Wetter“. Sollte Annika Pinske ihr Mutter- Tochter-Drama etwa nach dem in Politik und Werbung mehrfach paraphrasierten Werbeslogan „Alle reden vom Wetter. Wir nicht“ benannt haben? Ursprünglich entstammt er einer Kampagne der Deutschen Bahn, deren einst robuste Technik seit den sechziger Jahren deutlich wetterfühliger geworden ist.

Von dem westdeutschen Slogan hat Annika Pinske, 1982 in Prenzlau geboren und in Frankfurt/Oder aufgewachsen, allerdings erst beim Drehbuchschreiben gehört, kurz gehadert und sich dann doch nicht von ihrem Titel abbringen lassen.

Kirschstreusel oder Quarkmandarine?

Im Abschlussfilm der DFFB-Absolventin bezeichnet der Spruch das Kommunikationsdefizit zwischen Clara und ihrer Mutter Inge (Anne-Kathrin Gummich). An Liebe füreinander mangelt es beiden nicht, nur an Gesprächsthemen. „Soll ich Kirschstreusel oder Quarkmandarine backen?“ So lauten typische Fragen der in der Küche werkelnden Inge.

Claras Fragen drehen sich eher um Hegel, Utilitarismus, Geschlechter- und Klassenthemen. Sie lehrt Philosophie in Berlin und ist zu Muttis Geburtstag nach Hause gekommen. Ins Dorf Krackow in Mecklenburg-Vorpommern. Da tragen die Männer Karohemden, trinken Kurze und witzeln. „Watt is die Steigerung von Rinderwahnsinn?“ „Frauenpower!“, haha.

Doktorandin Clara hat nicht ihre Teenagertochter Emma (Emma Frieda Brüggler) genannt und sie der Doktorarbeit wegen beim Ex leben lassen, um solche Mackersprüche widerspruchslos hinzunehmen.

Im Dorfladen. Clara (Anne Schäfer) und Mutter Inge (Anne-Kathrin Gummich) beim Einkauf.
Im Dorfladen. Clara (Anne Schäfer) und Mutter Inge (Anne-Kathrin Gummich) beim Einkauf.

© Ben Bernhard/DFFB

„Hier wird nur gelabert und nie kommuniziert“ faucht sie die Mutter nach der Party an. Mutter guckt ratlos, zumal sie sich zuvor durchaus nach Claras Uni-Leben erkundigt hatte. „Dauert aber ganz schön lange die Doktorarbeit, watt?“ Nicht in den Augen von Claras Doktormutter Margot (Judith Hofmann), der die ehrgeizige Clara in Sachen Intellektualität und Karriere nacheifert.

Dass die Bildungsaufsteigerin trotzdem nicht einfach so zur Geisteselite zählt, wird bei der Geburtstagsfeier eines Profs klar. Da lügt die von Anne Schäfer als kühle Brünette mit Brüchen verkörperte Clara einen Diplomatenvater herbei.

[Vorstellungen: 14.2., 19 Uhr (Zoo Palast 1), 15.2., 17 Uhr (Cineplex Titania), 21 Uhr (Kino Union), 17.2., 12 Uhr (Zoo Palast 2), 19.2., 20 Uhr (Cubix 9)]

Annika Pinske zeichnet ein stilles Drama über Klassismus, Entfremdung zwischen Stadt und Land, Ost-West-Herkunft und den Preis, den eine bindungsscheue Karrierefrau für ihr freies Leben zahlt. Dabei fällt die ostalgiefreie Schilderung des Dorflebens dichter aus als die des Berliner Akademikermilieus und Claras Kreuzberger WG.

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Altstars wie Christine Schorn und Hermann Beyer tragen als Großeltern ebenso wie die patente Anne-Kathrin Gummich zum stimmigen Profil der Dörfler bei. „Kommt gut durch!“. Dieser lakonisch-zärtliche Abschiedsspruch trifft direkt ins Herz aller, die je ein Dorfleben verlassen haben, angelockt von den Versprechen der Stadt.

Pinskes Mutter war Arbeiterin im Halbleiter-Werk

„Ich kenne mich da einfach aus“, kommentiert die Regisseurin ihre Kenntnis dieser Lebenswelt. Ihre Großeltern leben in Krackow. Ihre Mutter war Arbeiterin im Frankfurter Halbleiter-Werk und zog die Tochter allein groß. Der Vater war in seine Heimat Kuba zurückgekehrt. „Claras Bildungsaufstieg beschäftigt mich schon sehr persönlich“, sagt die Filmemacherin nach einem Rundgang durch die schütter besetzten Räume der Deutschen Film- und Fernsehakademie oben im Filmhaus am Potsdamer Platz.

Die teils preisgekrönten Kurzfilme, die Pinske in diesen Produktionsräumen realisiert hat, brachten ihr 80 000 Euro Referenzgelder ein, die sie für ihr von RBB und Medienboard Berlin-Brandenburg gefördertes Langfilmdebüt abrufen konnte. Auch Philosophie hat sie studiert, wie ihre trotzdem nicht biografisch angelegte Heldin. Und Theaterhospitanzen an der Volksbühne absolviert.

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Auf den Wunsch, selbst Regie zu führen, hat die Mutter zweier Kinder aber ein anderes Praktikum gebracht: das bei der Produktionsfirma Komplizenfilm. „Das war mein erster Kontakt mit Film überhaupt.“ Als Pinske dort in den 2000er Jahren anfing, bestand die Firma nur aus den Gründerinnen Maren Ade und Janine Jackowski.

Zuvor habe sie ein Klischeebild vom Regieführen im Kopf gehabt, erzählt Pinske, das des genialischen Zampanos. Sich selber hielt sie – typisch weibliches Understatement – weder für verrückt, noch für interessant genug. „Bei den beiden Frauen habe ich dann gesehen: Das ist einfach Arbeit und viel Engagement und das konnte ich auch mitbringen!“

Akademisches Trio. Hannah (Sandra Hüller), Clara (Anne Schäfer) und Professorin Margot (Judith Hofmann) treiben Philosophie.
Akademisches Trio. Hannah (Sandra Hüller), Clara (Anne Schäfer) und Professorin Margot (Judith Hofmann) treiben Philosophie.

© Ben Bernhard/DFFB

Auch nach ihrer Zeit als persönliche Assistentin von Maren Ade, mit der sie „Toni Erdmann“ realisierte, ist sie weiter mit den Komplizen im Bunde. „Alle reden übers Wetter“ wurde aber nicht von der Firma koproduziert. „Das wäre gewesen, als ob ich einen Film mit meinen Eltern mache“, lacht Pinske.

An ihre DDR-Kindheit im Plattenbau erinnert sie sich gut. „Auf den Höfen gab es wahnsinnig viele Kinder, ich wurde sehr behütet und fühlte mich beim Spielen frei.“ Dass die Wende für ihre Mutter einen harten Bruch bedeutete, sei ihr erst mit 30 bewusst geworden. „Ich bin erst zur Ostdeutschen geworden, als ich Kontakt mit Westdeutschen hatte.“ Wenn man aus Frankfurt/Oder stamme sei das weiterhin erklärungsbedürftig. „Ich höre immer, dass ich nicht ostdeutsch wirke, aber was ist das denn überhaupt?“

Der Elterngeneration gerecht werden

Aus der Auseinandersetzung mit dieser Frage leitete Pinske eine Verpflichtung ab. „Ich gehe an die Schilderung des ländlichen Milieus herzlich heran und bediene nicht diese komischen Bilder von Männern im Unterhemd.“ Ein Bewusstsein für die Abwertung der Elterngeneration nach der Wende, das ist für Pinske typisch ostdeutsch. „Als Tochter einer alleinerziehenden Mutter, auf der auch viele Klischees liegen, geht es mir darum, besonders gut zu sein, damit nichts Gegenteiliges auf meine Mutter zurückfällt.

Der geliebten Mutter ebenso gerecht werden wollen wie dem Schicksal ihrer Generation – und trotzdem das Recht auf die eigenen Lebensvorstellungen behaupten. Das ist die vielen Bildungsaufsteigern bekannte Grundspannung, die die Regisseurin ihrer Clara eingeschrieben hat. Annika Pinskes eigene Mutter wird wissen, was sie an dieser Tochter hat.

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