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Kultur: Alles Fleisch ist Sünde

Das Hamburger Bucerius-Forum versammelt die Versuchungen des Antonius

Der Schrecken hat einen Namen. Es ist der Teufel, der die Menschen verführt. Und er hat ein Gesicht. Der Inbegriff alles Bösen kommt in Gestalt von Monstern und Missgeburten, von prügelnden Horden und skurrilen Plagegeistern daher, zuletzt als personifizierte Versuchung in der Hülle des lockenden Weibs. Doch Antonius widerstand all diesen Trugbildern, der fromme Mann blieb in der Wüste. Der Legende nach, die Athanasius, der Bischof von Alexandria, schon im 4. Jahrhundert aufschrieb, starb der Eremit im Alter von 105 Jahren, an Leib und Seele unversehrt.

Wohl kaum eine andere Heiligenlegende hat die Künstler über die Jahrhunderte so stark inspiriert wie die Versuchung dieses Asketen. In ihr begegnen sich die Lust und das Laster, die Angst und die Standhaftigkeit; zudem bot sie den Malern eine ideale Projektionsmöglichkeit für die jeweiligen Psychosen ihrer Zeit – und einen Vorwand für die Darstellung der eigenen Fantastereien.

Das zeitigt noch heute Wirkung: Die Ausstellung „Schrecken und Lust. Die Versuchung des heiligen Antonius von Hieronymus Bosch bis Max Ernst“ im Hamburger Bucerius-Kunstforum hat großen Zulauf. Zugleich bemüht sich die 80 Gemälde, Zeichnungen und grafische Blätter umfassende Schau um seriöse Einordnung, indem sie die Darstellung der Antonius-Legende seit dem 14. Jahrhundert chronologisch präsentiert: Waren es im Mittelalter die gehörnten, behuften, beflügelten Mischwesen, so sind es heute die Aliens in den Science-Fiction-Filmen und die Horrorgestalten der Splattermovies. Die Ausstellung endet allerdings mit dem Jahr 1945 und einem Bild von Max Ernst, das Antonius als die Personifizierung des Kriegstraumas zeigt: Der inmitten einer trostlosen Kraterlandschaft der zu Boden geworfene Heilige hat gegen die Übermacht der Dämonen keine Chance. In der Komposition und Farbgebung lehnt sich das Gemälde an Matthias Grünewalds Isenheimer Altar an, worin sich erneut die überzeitliche Bedeutung dieses Topos der Versuchung zeigt – als einer Versinnbildlichung von Angst.

Dazwischen datiert eine – mit Aufklärung und wachsendem Autoritätsverlust der Kirche – zunehmend erotische Interpretation. Um die Wende zum 20. Jahrhundert, bei Henri Fantin-Latour, Lovis Corinth und Domenico Morelli, tänzeln um den Heiligen, ein Alter Ego des Künstler, Scharen von nackten Frauen. 400 Jahre zuvor war das kaum anders. Auch der flämische Maler Joos van Craesbeeck rückt sich selbst ins Bild. In dem Höllenkopf, aus dessen weit aufgerissenen Mund und aufgeklappter Stirn die fantastischen Figuren entschlüpfen, hat er sich selbst dargestellt. Deutlicher hat kaum ein anderer Künstler gezeigt, dass die Antonius-Legende auch als Vorwand diente, verbotene Gedanken zu denken, unterdrückte Visionen zu zeigen.

Das Motiv des Höllenkopfes hatte van Craesbeeck bei Hieronymus Bosch entlehnt, der mit seinem 1505/06 entstandenen Lissabonner Altar die Inkunabel der Antonius-Versuchung schuf. Noch heute verbinden sich der geborstene Turm, die brennende Kirche, die tanzenden Zwitterwesen, die einem Ei entschlüpfenden Schlangen in unserer Vorstellung mit aller Schlechtigkeit. Die Ausstellung zeigt eine Vielzahl von Kopien nach Bosch und Werke von Nachfolgern. Die unmittelbar empfundene Angst vor dem Weltuntergang fand in diesem Reigen der Dämonen ihren lebhaften Ausdruck.

Während bei Bosch der heilige Antonius eine Randfigur bleibt, passiv, ein in sich gekrümmtes Männlein, gibt ihn der Venezianer Paolo Veronese als muskulösen Kämpfer, der sich verzweifelt gegen eine üppige Blondine und ihren gehörnten Begleiter zu erwehren sucht. So hat Antonius im Laufe der Jahrhunderte zwar verschiedene Wandlungen durchlebt, die erzählte Geschichte aber blieb immer gleich: der Heilige und seine Versucher. Nur der belgische Blasphemiker Félicien Rops hat die fromme Legende wirklich neu interpretiert. Bei ihm schläft der einstige Asket als rundliches Mönchlein selig lächelnd im Stroh Arm in Arm mit seiner Begleitfigur, einem Schwein. Über beiden schwebt ein Heiligenschein. Der Betrachter darf sich fragen, ob dies nun der Moment vor oder nach der Versuchung ist.

Hamburg, Bucerius-Forum, bis 18. Mai. Katalog 24,80 Euro. Weitere Informationen: www.buceriuskunstforum.de.

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