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Samuel und Éléonore verbringen einen letzten gemeinsamen Sommer im Haus des Vaters.

© Film Kino Text

Kinofilm „Die Schlösser aus Sand“: Alpine Herzen

Das Licht, die Tablette und ein Glas Dunkelheit: Oliver Jahanns Liebesfilm „Die Schlösser aus Sand“.

Irgendetwas irritiert an diesem Film. Wirkt er nicht eine Spur zu glatt, bis in die letzte Nuance kalkuliert? Und da Kritiker ihren bösen Einfällen nicht immer widerstehen können, mag man fast sagen, Olivier Jahans „Die Schlösser aus Sand“ sei ungefähr so wie seine Dialoge: „Du bist das Licht, bevor es sich auflöst wie eine Tablette in einem Glas Dunkelheit“. Das sagt er wirklich zu ihr, Samuel zu Éléonore, oder war es umgekehrt? Kann man einen Menschen lieben, der zu solchen Sätzen fähig ist? Dennoch, das voreilige Urteil sei ausdrücklich widerrufen.

Es geschieht nicht oft, dass das Wissen um die Biografie eines Filmemachers die Sicht auf sein Werk ändert. „Die Schlösser aus Sand“ ist Jahans erstes größeres Stück Kino seit 15 Jahren. Der Vorgänger hieß „Tut so, als wäre ich gar nicht da“. Das Publikum zeigte sich dem Titel verpflichtet, keinen einzigen Franc habe er an der Kinokasse eingespielt, gestand der Regisseur beherzt. „Die Schlösser aus Sand“ kommt also wie ein großes Trotzdem ins Kino, und der Vorwurf, es fehle ihm der Mut zum Risiko, klingt deplatziert.

Die Wände sind Zeugen

Éléonore (Emma de Caunes), etwas über dreißig Jahre alt, mit der vierzig als dunkler Drohung am Horizont, hat immer im Hier und Jetzt gelebt. Sie ist Fotografin, war aber auch schon mal erfolgreicher. Seit dem Tod ihres Vaters hat sie dessen Haus in der Bretagne nicht mehr betreten. Sie könne das nicht allein, erklärt sie dem Mann, der einmal zu ihrem Leben gehörte. Und zu diesem Haus. Es war der diskrete Zeuge ihrer Liebe, mehrere Sommer lang. Samuel (Yannick Renier) lässt sich darauf ein, gemeinsam fährt das Paar von gestern in die Bretagne. Das ist die äußere Handlung. Denn das eigentliche, in den kommenden zwei Tagen alle Beteiligten überwältigende Geschehen findet innen statt. Was für eine Versuchsanordnung: Hochalpinsport der Seele!

Zwischen Emma des Caunes und Yannick Renier besteht von Anfang an ein erotomagnetisches Feld, dazu eine Zeitspannung zwischen Vergangenheit, Zukunft und einer Gegenwart, in der alles entschieden scheint. Der Historiker lebt längst mit einer anderen; Samuel konnte Éléonore nie verzeihen, dass sie ihn interimsweise für einen Musiker eingetauscht hat. „Und die Neue, was hat sie mehr als ich?“, fragt sie und bekommt zur Antwort, dass es sich bei diesem Mehr eher um ein Weniger handele, darin eben bestehe der Vorzug. Ein Vorzug der Lebbarkeit gewissermaßen.

Die Toten reden mit uns

Vor der Tür steht unausgepackt die letzte Weinlieferung des Vaters, vor einem Monat bestellt, was für eine melodramatische Kartonage! Der Empfänger sitzt wie selbstverständlich plötzlich am Strand und spricht mit seiner Tochter. Das ist der schöne Realismus des Kinos, denn natürlich reden wir mit unseren Toten und diese mit uns. Erst recht, wenn man wie die nunmehr vaterlose Fotografin erstmals die eigene Endlichkeit spürt. Und das in einem Haus, dessen Mauern Zeugen ihrer körperlichen unio mystica mit Samuel waren. Ausgerechnet jetzt, wo dieses Haus in andere Hände übergehen sollen.

Wunderbar störend drängt sich immer wieder die Immobilienmaklerin Claire (Jeanne Rosa) ins Bild, die sich in Ermangelung eines eigenen mehr für die Leben ihrer Klienten interessiert. Aber die sprechen, was sie dem anderen nicht eingestehen können (und kaum sich selbst), lieber direkt in die Kamera. Das Publikum wird zum Mitwisser der Seelen, ein Spiel von Nähe und Distanz entsteht. Dieser Film löst sich wie eine Lichttablette auf im Glas voller Dunkelheit? Nein, im Gegenteil, das Glas leuchtet.

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