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Kultur: Alte Bekannte

In der Musik gibt es keine Wiederholungen, auch in der Klassik nicht, deren Formen doch wesentlich von Symmetrie, Korrespondenzen, Reprisen und ähnlichem leben. Umso verblüffender gerade hier das Erlebnis, wie im zeitlichen Verlauf dasselbe niemals dasselbe ist, die gegenwärtige Gestalt im jeweiligen Vor- und Nachklang ständigem Bedeutungswandel unterliegt.

In der Musik gibt es keine Wiederholungen, auch in der Klassik nicht, deren Formen doch wesentlich von Symmetrie, Korrespondenzen, Reprisen und ähnlichem leben. Umso verblüffender gerade hier das Erlebnis, wie im zeitlichen Verlauf dasselbe niemals dasselbe ist, die gegenwärtige Gestalt im jeweiligen Vor- und Nachklang ständigem Bedeutungswandel unterliegt. Alfred Brendel mag sich darauf berufen, wenn er das klassische Kernrepertoire seit Jahrzehnten immer neu auslotet. Doch daß er hier einst durchaus innovativ wirkte, etwa Schubert aus dem Schatten Beethovens herausholte, Liszt den Geruch des Salonkomponisten nahm und sich für Schönberg einsetzte, ist lang vergessen. Heute sind neue Erlebnisse und Erkenntnisse in seinen Konzerten selten, feiert man allenfalls Wiedersehen mit lieben alten Bekannten. In der ausverkauften Philharmonie umweht Brendel diesmal geradezu die Aura eines Museumswärters, der seine verblichenen Preziosen hegt und pflegt, hier ein wenig abstaubt, dort ein wenig nachpoliert - manchmal auch auf Hochglanz.

Stil hat das immer, streng am klassischen Maß orientiert, ohne subjektivistische Aktualisierungen. Haydns e-moll-Sonate erhält so nur wenige Abtönungen der Dynamik und Tempogestaltung - etwa im weich zurückgenommenen Kopfsatz-Seitenthema -, schnurrt ansonsten in großflächiger Anlage spiegelglatt ab. Aber hätte der Pianist nicht gerade in diesem noch so viele Merkmale des "Sturm und Drang" tragenden Werk das Recht, detaillierter mit rhetorischen Figuren zu arbeiten, die Modulationen der Durchführung als Dialoge aufzufasssen, das karge Adagio-Rezitativ pathetisch aufzuladen und dem Finale freche Akzente zu geben? Betrüblich, wenn man an Brendels pointiertes, vor Humor nur so blitzendes Haydn-Spiel vom letzten Jahr denkt. Auch Mozart, den gesamten zweiten Teil ausmachend, lockt ihn nur im herzbewegenden a-moll-Rondo so richtig aus der Reserve: da beginnt der Klang zu atmen, wird die Diktion freier und lebendiger. Sowohl die c-moll-Fantasie als auch die A-Dur-Sonate (die mit dem "türkischen Marsch") erklingen transparent, beweglich, feingliedrig, aber gerade in ihrer wohlausgewogenen, kühlen Noblesse auch ein wenig langweilig.

Schubert ist da eine Welt für sich, in unablässigem Fluß der steten Wandlung des immer Gleichen nachspürend. Daß Brendel in der späten A-Dur-Sonate (D 959) auf Entwicklung verzichtet, geschweige denn Dramatik inszeniert, sich stattdessen träumerisch in die unendlichen Nuancen seiner Piano-Anschlagskunst verliert, entspricht diesem "minimalistischen" Schubert-Bild. Doch manchmal vermißt man bei ihm schon Leidenschaft, Ingrimm oder auch die Doppelbödigkeit scheinbar unbelebter Klangflächen, wie sie "modernere" Interpretationen kennzeichnen. Die "Winterreisen"-Fieberschauer des fis-moll-Andantinos bleiben in seinen Trillern und Tremoli eingeschlossen, während im Scherzo diesseitige Grazie triumphiert.

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