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Kultur: Am blinden Ufer

Von Oskar Lafontaine zu Jean de la Fontaine: Dietmar Daths Roman „Die Abschaffung der Arten“

Auf die Frage, ob es nicht sein Job als Dichter wäre, von Menschen zu erzählen, antwortet Dietmar Dath auf der von ihm für seinen neuen Roman „Die Abschaffung der Arten“ eingerichteten Website www.cyrusgolden.de: „Menschen, Menschen . . . es gibt doch längst zu viele Menschen, irgendwann soll man’s auch mal gut sein lassen. Nicht nur in der Literatur. Überbevölkerung hin oder her, wie auch immer die Zahlen genau aussehen mögen, eins steht fest: Wenn es jeweils auch nur einen Einzigen von der Sorte George W. Bush, Robert Mugabe, Pol Pot oder Ahmadinejad gibt, dann gibt es bereits einen zu viel. Ellen DeGeneres hat diesen qualitativen Aspekt des Menschenüberschusses in die schöne Formel gegossen: ’The world is overpopulated with the wrong kind of people’“.

Befeuert von solchen Einsichten hat sich Dath an einen Roman gesetzt, der in einer von Menschen nicht mehr mitgestalteten fernen Zukunft spielt; an einen Fantasy-Roman, dessen Hauptfiguren die „Gente“ sind, Wesen die sich von den Menschen nicht nur durch ihr tierähnliches, jederzeit veränderbares Aussehen unterscheiden, sondern vor allem durch ihren phänomenalen Geruchssinn. „Der Duft“, sagt der Löwe Cyrus Iemelian Adrian Vinicius Golden in den die großen Kapitel einführenden „Löwengesprächen“ zur Fledermaus Izquierda, „Dass das überall ist, dass wir damit auf der ganzen Welt jederzeit wissen, was andernorts geschieht ...“. Woraufhin die Fledermaus antwortet: „Wegen der Nichtlokalität der Leitfelder des Pherinfonsystems“. Und der Löwe erwidert: „Ja“, um dann die Sache mit den Pherinfonen zu erklären.

Man erkennt an diesem Ausschnitt, dass Dath mit „Die Abschaffung der Arten“ höchste Aufmerksamkeit und Knabberarbeit einfordert. Und man ist, mögliche Lese- und Erkenntnisbelohnungen witternd, zunächst angetan und frohen Mutes, vor allem des lustigen Roman-Settings wegen. Da sind also die Gente, besagter Löwe, der Gente-Oberboss, ein Wolf, eine Dächsin, eine Lüchsin, ein Fuchs und viele, viele andere, die hier so kreuchen und fleuchen, Libellen, Zander, Echsen und so weiter.

Dann sind da die drei verbliebenen Städte auf der Welt, dann die Kügelchen, mit denen die Gente den letzten an den Rändern der Welt lebenden Menschen ihre verbliebenen Flausen austreiben wollen, dann andere Wesen wie Katahomenduende und Katahomencopiava, die sich bald zu Katahomenleandral zusammenschließen, um „von pulssicherer Keramik geschützt“ die Gente zu bekämpfen und ein eigenes Gemeinwesen zu gründen.

Bald jedoch wird man mutlos und böse und fragt sich, was der fantasievolle Aufwand soll? Wenn man wieder aus einem der irrlichternden Unsinnsdialoge herausgefallen ist, wenn Dath vom Hölzchen aufs Stöckchen und wieder zurück kommt, wenn er immer wieder neue Figuren ins Erzählfeld schmeißt, wenn man wieder einmal auf geröllhaltigen Erzählfährten steckenbleibt, auf denen Dath irgendwas von Liebe und Krieg erzählt und warum „den Menschen passiert ist, was ihnen passiert ist“ – waren lieb, waren nicht so lieb, waren aggressiv, wollten Gott sein. Weitere Fragen stellen sich: Belohnt die zunehmend beschwerlicher werdende Lektüre mit tieferen Erkenntnissen? Führt hier ein Autor seine Leser nicht auch aus purer Lust an der Vielschreiberei an der Nase herum? Ist „Langeweile“, die in diesem Roman das Synonym für das einstige menschliche Leben ist, nicht auch ein Grundzug dieses Romans? Spontan lauten die Antworten: Nein. Ja. Ja.

So findet sich zwar auch mal ein hübscher, zitierfähiger, richtiger Satz etwa über die Menschen: „Ihr Vorstellungsvermögen hatte einen gefährlichen Knick; sie hielten generell von der Wirklichkeit viel mehr als von der Wahrheit“. Doch allzu oft ist man schlingernden Satz- und Wissensungetümen wie diesem ausgesetzt: „Als nun gegen Ende der Langeweile das Prinzip der computationalen Äquivalenz entdeckt wurde – weniger geschwollen: dass der öde Dualismus, hier Geist, dort Natur, ein reiner Blödsinn gewesen war, weil man sowohl Bewusstseins- wie Naturvorgänge einfach als das Ablaufen von Programmen beschreiben kann, als Rechenvorgänge im Rahmen gewisser Regeln, da war schon klar, dass man nur noch die, na, ehren wir die Relativitätstheorie, in dem wir es Lorenztransformationen nennen – also, die Lorenztransformationen finden musste zwischen den ... Ebenen.“

Es folgen weitere Schlagworte aus Philosophie und Physik, Monismus, Epiphänomenalismus, Emergenz, und wie in vielen seiner Romane erweist sich Dath als Überwältigungskünstler, der sein verzweigt-fundiertes Spezialwissen gern zur Schau stellt, es aber nicht aufbereiten will oder aufzubereiten weiß. Zumal er auch sprachlich nicht gerade in Schönheit stirbt und außer Gebrauchsprosa und ein paar Gimmicks nicht viel zu bieten hat.

Überforderungsgefühle stellen sich ein, ein Überdruss an dieser Dath-Fantasy, in die zwischen Schabernack und Weltwissen alles reinpasst, typische Dath-Issues wie Pop und (linke) Politik aber chancenlos bleiben. Den Grund benennt Dath auf seiner Website: Weil er wegen seiner Forderung nach „Politischer Praxis“ als Lafontaine-Anhänger eingestuft wurde, begann er Bücher von Lafontaine zu lesen, bis er bemerkte, dass er bei dem großen Tierfabelschreiber Jean de La Fontaine gelandet war. Alles klar? So kann das gehen bei Daths zu Hause.

Und so geht es auch in diesem Roman auf vielen zeitlich und räumlich hin und her geschobenen Plateaus weiter. Das Reich der Gente zerfällt, die Nachbarplaneten Venus und Mars werden besiedelt, die Kinder von Wolf und Lüchsin tauchen auf, und irgendwann schaltet sich die Menschenfrau Cordula Späth ein, Dath-Aficionados bekannt aus seinem Debüt „Cordula killt dich“ und dem 1000-Seiter „Für immer in Honig“. Einmal berichtet diese der Echse Padmasambhava, was für Schwierigkeiten die Menschen damit hatten, so gute Geschichtenerzähler zu sein: „Da musste dann, damit der Erzählbrei nicht auseinanderlief, ein bisschen mehr Statik rein, oder Stärke, Rückgrat, Gerüst.“ Dasselbe wünscht man Dietmar Dath – sonst lässt man es irgendwann gut sein mit seinen Büchern.

Dietmar Dath: Die Abschaffung der Arten. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2008. 552 Seiten, 24,80 €.

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