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Kultur: Anfang der Fahnenstange

Deutschlands Biennale-Künstlerin Isa Genzken in der Berliner Galerie neugerriemschneider

Nein, für ein Interview steht die Künstlerin nicht zur Verfügung. Die Auskunft kommt kaum überraschend, denn Isa Genzken lässt sich ungern befragen über ihr Werk – und ihre Pläne für den deutschen Pavillon auf der Biennale di Venezia im kommenden Jahr schon gar nicht. Sie braucht auch nicht zu sprechen, denn ihre Arbeiten sind in gewisser Hinsicht so beredt, dass all die anderen ins Erzählen darüber geraten. Ihre Skulpturen knüpfen Verbindung in Gegenwart und stehen doch für sich allein, eine Gratwanderung zwischen konkretem Bezug und Abstraktion. „Eine Skulptur ist eigentlich wie ein Foto – sie kann zwar verrückt sein, sie muss aber noch so einen Aspekt haben, den die Realität auch hat“, ist als eine der wenigen Aussagen überliefert von ihr.

Gelegenheiten, Isa Genzkens Werk kennenzulernen, gab es allein in diesem Jahr en masse: In der Kieler Kunsthalle und Wiener Secession sind bis zum Wochenende noch Einzelausstellungen zu sehen, zeitweilig begleitet von einer Installation im Innsbrucker Taxispalais. Im Museum Abteiberg in Mönchengladbach gehört sie zu den Teilnehmern einer Gruppenschau. Überall wurde ihr Beitrag hoch gelobt. Zweifellos ist sie eine der bedeutendsten Bildhauerinnen der Gegenwart und trotzdem nur Kennern besser bekannt. Die Einladung von Nicolaus Schafhausen, dem Kurator des deutschen Pavillons, aber rückt sie nun ins Rampenlicht, und plötzlich schauen alle hin. Wie jetzt in der Galerie neugerriemschneider, wo sie den quadratischen Ausstellungsraum mit vier Skulpturen virtuos bespielt. „Diese Künstlerin ist ein großes Glück“, zitiert die Einladung den deutschen Biennale-Kommissär. Hier erbringt sie den schönsten Beweis und ein Versprechen für das kommende Jahr.

Die knapp zwei Meter hohen Skulpturen, die im Kern aus Sockeln gebildet sind, um die Isa Genzken ihre Arrangements drapiert, stehen majestätisch im Raum wie die vier Himmelsrichtungen oder vier Elemente. Doch nichts sind sie weniger als das. Ihre Titel lauten „Papst“, „Elefant“, „Leonardos Katze“ und „Fahnenstange“. Wer die hochkomplexen Ensembles genauer studiert, wird in allen Hinweise auf die jeweilige Bezeichnung finden. Der „Papst“ trägt eine Stola, in dem Fall ein Kai-Althoff-Leporello, zu seinen Füßen findet sich die ausgeschnittene Figur Mies van der Rohes, ein Papst der Architektur. Der „Elefant“ kommt leibhaftig daher: Sein Rüssel ist mit Bezugsstoff umwickelt, sein Körper aus hängenden Jalousielamellen gebildet. „Leonardos Katze“ wird mit einem Miezenposter zitiert, dazu jede Menge Fische aus Plüsch und Plastik sowie künstliche Apfelbaumzweige. „Die Fahnenstange“ ist ein Rohr, das auf zwei Schlitten balanciert und darunter ein apokalyptisches Diorama mit silbrig überzogenen Spielfiguren, Nüssen und Tieren verbirgt (Preise auf Anfrage).

Die vielerlei auch politischen Anspielungen und narrativen Bezüge bleiben trotzdem dem großen Ganzen untergeordnet: einer Reflexion über Bildhauerei heute. Isa Genzken gewichtet subtil die Kräfte im Raum, wägt die Horizontale von Röhren, Angeln, Schläuchen gegen den vertikalen Sockel, operiert mit verschiedenen Farben, die sie sprayt und drippt, komponiert mit Plastikfolie, Stoffen, einmontierten Fotografien. Es ist das Jahrhunderte alte Geschäft des Ringens um Ausdruck und Form, aber der 58-jährigen Künstlerin gelingt dies mit einer Frische und Verve, die manch jüngeren Bildhauer erblassen lässt. Die Fragilität und zugleich Monumentalität ihrer Skulpturen macht staunen, ebenso die Sicherheit ihrer Setzungen, die jedoch am Ende eines langen Entstehungsprozesses stehen.

Isa Genzken hat so viele Wendungen in ihrem Werk bravourös vollzogen: von den frühen Ellipsoiden und Hyperboliden, die wie Hochseetanker in sich ruhten, den filigranen Betongüssen auf hohen, stählernen Stützen, weiter zu den spiegelnden Flächen. In Venedig wird sie erneut überraschen, so viel steht fest.

neugerriemschneider, Linienstraße 155, bis 28. Oktober; Dienstag bis Sonnabend 11 – 18 Uhr.

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