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Kultur: Angriff auf Irak: Sein erster Schlag

Überrascht war in Amerika eigentlich keiner. Entweder aufgeben, die Sanktionen beenden und der Wiederaufrüstung des Irak tatenlos zusehen - oder zuschlagen: Das war die Essenz von Dutzenden von Zeitungs-Kommentaren, die in den vergangenen Tagen erschienen waren, sowie von unzähligen Sondersendungen, die vor kurzem anlässlich des 10.

Überrascht war in Amerika eigentlich keiner. Entweder aufgeben, die Sanktionen beenden und der Wiederaufrüstung des Irak tatenlos zusehen - oder zuschlagen: Das war die Essenz von Dutzenden von Zeitungs-Kommentaren, die in den vergangenen Tagen erschienen waren, sowie von unzähligen Sondersendungen, die vor kurzem anlässlich des 10. Jahrestages des Irak-Krieges gebracht worden waren. Saddam Hussein ist immer noch im Amt und wird täglich stärker: Das empfinden viele Amerikaner als eine Schmach.

Begonnen allerdings hatte die erneute Aufmerksamkeit, die die USA jetzt ihrem Erzfeind in der Golfregion entgegenbringen, mit dem Wahlsieg von George W. Bush. Würde der Sohn nun endlich vollenden, was der Vater begonnen hatte? Und würden ihm Vizepräsident Dick Cheney, damals Verteidigungsminister, und Außenminister Colin Powell, der gefeierte Kriegsheld des Golfkrieges, dabei helfen? Das waren die Fragen, die allgemein gestellt wurden. Schon während des Wahlkampfes hatten die Republikaner die Clinton-Regierung als zu weich gegenüber Bagdad kritisiert. Mit einer Neuorientierung nach Bushs Wahlsieg, die in einem härteren Kurs gegenüber dem Irak münden würde, hatte jeder gerechnet.

Am vergangenen Wochenende steigerten sich die Stimmen, die nach einer sofortigen Handlung riefen, zu einem wahren Chor. In der Sonntags-Ausgabe der "Washington Post" schrieb Jim Hoagland: "Die Bush-Administration muss schleunigst etwas tun, um das Risiko zu begrenzen, dass Saddam Hussein in einer neuen Golfkrise die Initiative übernehmen kann." Es sei falsch, erst darauf zu warten, bis die internationale Gemeinschaft ihre Sanktionspolitik überdenkt. "Das Bush-Team darf keine Minute länger überlegen. Wir sind am Scheideweg. Entweder, es wird noch einmal ernst, oder wir ziehen uns ganz zurück." Am selben Tag erschien ein Editorial in der "New York Times". Darin hieß es: "Das zentrale Ziel der amerikanischen Regierung muss es bleiben, Saddam Hussein an der Wiederaufrüstung seiner Streitkräfte zu hindern." Leider sei in den vergangenen Jahren das Gegenteil geschehen. Die Sanktionen, die der Sicherheitsrat verhängt hatte, seien zunehmend löchrig geworden. Zwei permanente Mitglieder, Russland und Frankreich, hätten sich sogar offen für eine Beendigung der Isolationspolitik ausgesprochen. In der Folge seien uninspizierte Waren ins Land gelangt, der Flugverkehr sei wieder aufgenommen worden, und "Hussein hat Milliarden von Dollar aus Ölgeschäften erwirtschaftet, die er jetzt dafür verwenden kann, seine nuklearen, chemischen und biologischen Waffen zu bauen".

Das Fass zum Überlaufen hatte die Nachricht gebracht, dass Hussein offenbar neue Waffensysteme, mehrere Dutzend Typen der so genannten Boden-Luft-Rakete SA-6, erworben hat. Die wahrscheinlichen Lieferanten seien Serbien und die Ukraine. Mit diesen Waffen könne der irakische Diktator ernsthaft die britischen und amerikanischen Piloten bedrohen, die über den Flugverbotszonen ihre Runden drehen. Durch diese Information gerieten nicht nur die in der Türkei und Saudi-Arabien stationierten Militärs in Besorgnis, sondern auch das Pentagon und das Weiße Haus. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld befahl seinen Generälen, die Irak-Strategie zu überdenken. Eine legale Grundlage für die Raketenangriffe sieht Washington immer noch gegeben. Die Weigerung von Saddam Hussein, Waffeninspektoren ins Land zu lassen, sei eine eindeutige Verletzung des Waffenstillstandsabkommens, das den Irak-Krieg beendet hatte.

Das militärische Risiko der erneuten Luftangriffe wird in den USA als gering eingeschätzt. Wichtiger ist die Reaktion in Europa und den arabischen Nachbarn des Irak. Weder Syrien und Jordanien, noch sogar die Türkei machen ein Geheimnis daraus, dass sie durch die Sanktionspolitik ihre Geschäfte behindert sehen. In Europa wiederum verstehe man die Risiken nicht, die von Saddam Hussein erneut ausgingen, heißt es in Sicherheitskreisen. Beeinflussen könnte der härtere Kurs auch die amerikanische Rolle in den Nahost-Friedensgesprächen. Unter den Palästinensern hat Saddam Hussein immer noch sehr viele Anhänger. Seine Emissäre waren vor kurzem in den besetzten Gebieten und haben jeder Familie, die eines ihrer Mitglieder in der Intifada verloren hat, einen Scheck in Höhe von 10 000 Dollar überreicht. Als neuer, ehrlicher Makler wird George W. Bush sich seit gestern kaum noch präsentieren können.

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