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Kultur: Angst vor der Spirale

Daniel Libeskinds spektakulärer Entwurf für das Londoner Victoria & Albert Museum steht vor dem Aus

Dies ist alles andere als ein Sommer ungetrübter Freude für Daniel Libeskind. Sein im ersten Anlauf scheinbar mühelos siegreicher Entwurf für „Ground Zero“ in New York ist mittlerweile so weit zerpflückt worden, dass wohl nur noch die bis auf 541 Meter aufragende Turmspitze übrig bleiben wird. Ein anderes, inzwischen bereits acht Jahre altes Projekt wiederum – der Erweiterungsbau für das Londoner Victoria & Albert Museum (V&A)– ist wohl endgültig gescheitert. Die Nationalerbe-Lotterie lehnte einen Antrag auf Baukostenzuschuss in Höhe von rund 22 Millionen Euro ab. Das ist bereits der zweite Rückschlag, nachdem der Arts Council of England im Februar einen Antrag abgelehnt hatte. Die Finanzierung des schon auf bis zu 140 Millionen Euro veranschlagten, nach einschneidenden Änderungen durch Libeskind auf 97 Millionen Euro abgespeckten Vorhabens ist in weite Ferne gerückt.

Im September will sich der Verwaltungsrat des entgegen seinem von manchen missverstandenen Namen universal, auf alle Zeiten und Völker ausgerichteten Kunstgewerbe- und Designmuseums nochmals mit dem „Spirale“ genannten Libeskind-Entwurf befassen – und ihn, wie Londoner Insider orakeln, wohl endgültig ad acta legen. Museumsdirektor Mark Jones äußerte nach der Lotto-Entscheidung, die Ablehnung „gefährde ernsthaft die Zukunft der Spirale“. Ob die bislang eingeworbenen, annähernd 50 Millionen Euro an Spendengeldern dann anderweitig ausgegeben werden dürfen und gegebenenfalls wofür, dürfte gleichfalls Gegenstand hitziger Debatten werden.

Als die Museumsleitung den von Daniel Libeskind gemeinsam mit dem Ingenieur Cecil Balmond aus dem berühmten, weltweit tätigen Büro Ove Arup and Partners entwickelten Entwurf eines unregelmäßig ineinander verschachtelten Bauwerks für die einzige Lücke im riesigen Komplex des V&A auswählte, gingen die Wogen hoch im konservativen England. Avantgardistische Architektur hat in London, gelinde gesagt, keinen leichten Stand. Doch das Klima wandelt sich – im selben Maße, wie sich auch Londons bislang niedrige Skyline durch Einsprengsel auffälliger Hochhäuser wandelt, die allerdings meist aus den Hi-Tech-Büros von Foster bis Rogers stammen.

Libeskinds als „angewandte Chaostheorie“ gepriesener Entwurf hingegen stößt kantig in den Straßenraum der seitlichen, nicht allzu breiten Exhibition Road in South Kensington vor, einem viktorianischen Musterquartier einer ebenso zahlungskräftigen wie konservativen Einwohnerschaft. Doch alle Genehmigungshürden wurden genommen, erst die des „Königlichen Bezirks von Kensington und Chelsea“, dann die der Denkmalschutzbehörde. Schließlich ließ auch der Widerstand der Anwohner nach. Die prächtige Schaufassade des V&A ist ohnehin nicht berührt; es geht lediglich um eine Art Wirtschaftshof, der überbaut werden soll – um so auch die horrenden Probleme der Wegführung in dem verschachtelten Riesenmuseum zu lindern. Im Inneren birgt die Spirale nämlich sieben makellos horizontale Stockwerke, anders als im Berliner Jüdischen Museum mit seinem ansteigenden Rundweg. So könnten Verbindungen zwischen verschiedenen, bislang nur über lange Fußmärsche zu erreichende Abteilungen des V&A hergestellt werden; auch sind Räume für die Museumspädagogik vorgesehen, die in dem Haus mit einer Sammlung von vier Millionen Objekten, mit 145 Schausälen und diversen Abteilungen von Islamischem Kunsthandwerk über Renaissance bis zu zeitgenössischer Mode dringend vonnöten sind.

Das V&A befindet sich seit Jahren in der Krise; hektische Personalwechsel in der Museumsleitung wie unter den Kuratoren, das Hin und Her in der Frage des unentgeltlichen Zutritts haben dem Ruf des Hauses zugesetzt. Dabei sind die Anstrengungen zur Modernisierung des 1852 gegründeten Museums beeindruckend. 2001 wurden die „Britischen Galerien“ eröffnet, deren Baukosten in Höhe von fast 50 Millionen Euro zu drei Fünfteln mit Lottomitteln beglichen wurden. Eine neue „Islamische Galerie“ wird, gänzlich aus einer Privatspende finanziert, in zwei Jahren öffnen, und für 2009 ist die Einrichtung der neuen Galerien für Kunstgewerbe des Mittelalters und der Renaissance geplant.

Gleichwohl, es bleibt Libeskinds – als Rechtfertigung gemeinte – Frage: „Wie öffnet man dieses Museum für ein neues Publikum?“ Darauf hat das V&A, ob mit oder ohne spektakuläre Architektur, bislang keine rechte Antwort gefunden.

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