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Kultur: Anna tanzt mit Günter - Begegnungen in Berlin

Ich kam 1960 nach Berlin. Günter Grass war schon da und wohnte in der Karlsbader Straße am Roseneck.

Ich kam 1960 nach Berlin. Günter Grass war schon da und wohnte in der Karlsbader Straße am Roseneck. 1960 benötigte man, um in Berlin wohnen und arbeiten zu dürfen, eine Zuzugsgenehmigung. Dichter wurden damals nicht benötigt, es sei denn, sie hatten senatsgenehme Ehefrauen. Ich war mit einer Krankenschwester verheiratet. Günter Grass war mit Anna verheiratet. Anna tanzte mit Günter Bruno Fuchs; ein dicker Mann mit Grazie. In der Ecke standen kleine Dichterchen und sahen zu.

Günter Grass war damals schon ein weitbekannter Mann. Es lief das Chruschtschow- Ultimatum, was dem Westteil der Stadt nichts Gutes verhieß. Der Kalte Krieg wurde immer kälter. Dass es eine Mauer werden würde, daran dachte niemand von uns. Günter Grass und Wolfdietrich Schnurre protestierten bei Anna Seghers. Mit Robert Wolfgang Schnell stritt er sich, worüber damals gestritten wurde. Schnell lief hinter dem Taxi her, in dem Günter Grass saß, und schrie: Kapitalistenknecht! Günter Grass kurbelte das Fenster des Taxis herunter und schrie: Du wirst schon sehen, was aus deinem Kommunismus wird!

Ich wohnte damals in der Exklave Steinstücken. Günter Grass war neugierig. Ich besorgte eine Zweitwohnsitz-Anmeldung (die brauchte man, um die Grenzposten passieren zu können) und führte ihn durch eine unwirkliche Welt. Witterte er einen Romanstoff? Das wohl nicht. Wir hörten auf der anderen Straßenseite die Grenzwächter telefonieren. Als er mich fragte, was ich außer Rezensieren noch tue, zeigte ich ihm ein paar Gedichte. Ein Jahr später war auch ich Autor bei Luchterhand. Später hieß es, Günter Grass spiele Skat im Bundeseck, mit Eduard Reifferscheid, dem Verleger, mit Hanspeter Krüger, dem Radiomann vom SFB, und mit dem Ehepaar Born. Die haben immer gewonnen. Auf dem Schriftstellerkongress im Mai 1961 im Ostteil Berlins war auch Günter Grass eingeladen zu sprechen. Das, was er sagte, konnte den Parteimenschen nicht schmecken (Stichwort Uwe Johnson). Am nächsten Morgen schmetterte Alexander Abusch seine Gegenrede. Zu Beginn nannte er Grass einen Feigling, weil er nicht anwesend war. Da ging die Tür auf, es erschien Günter Grass: pointiert.Der Autor lebt als Lyriker, Prosaautor und Redakteur in Berlin. Er hat zuletzt den Gedichtband "Augustfeuer" veröffentlicht.

Rolf Haufs

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