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Antisemitismus-Resolution im Bundestag: Scharfe Kritik von Kunst und Wissenschaft
Was lange währt, muss nicht gut werden: Der Text des Bundestags zum Antisemitismus stößt auf breite Kritik – auch in Israel.
Stand:
Über ein Jahr lang zogen sich die Verhandlungen hin. Beteiligt waren nur die Fraktionsspitzen der Ampel-Koalitiom und der Union. Nun soll die sogenannte Antisemitismus-Resolution im Bundestag beschlossen werden – zum Jahrestag der Nazi-Pogrome am 9. November. Ein Akt von großer Symbolik, der einen intransparenten Prozess und ein heftig umstrittenes Ergebnis überdeckt.
„Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“. So formuliert der Text das Ziel der Resolution. Darüber kann es keinen Dissens geben. Antisemitische Straftaten haben seit dem Massaker der Hamas und der Geiselnahme vom 7. Oktober deutlich zugenommen. Diese alarmierende Entwicklung sei, so heißt es in der Beschlussvorlage, „sowohl auf einen zunehmend offenen und gewalttätigen Antisemitismus in rechtsextremistischen und islamistischen Milieus als auch auf einen relativierenden Umgang und vermehrt israelbezogenen und links-antiimperialistischen Antisemitismus zurückzuführen“.
Keine Rechtssicherheit
In dem Papier, das der „Spiegel“ an die Öffentlichkeit brachte, legen SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU fest, was längst geregelt ist: „Der Deutsche Bundestag bekräftigt seinen Beschluss, dass sicherzustellen ist, dass keine Organisationen und Projekte finanziell gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten, das Existenzrecht Israels infrage stellen, die zum Boykott Israels aufrufen oder die BDS-Bewegung aktiv unterstützen.“
Dazu fordert der Bundestag Länder und Kommunen auf, „soweit noch nicht erfolgt, rechtssichere, insbesondere haushälterische Regelungen zu erarbeiten, die sicherstellen sollen, dass keine Projekte und Vorhaben insbesondere mit antisemitischen Zielen und Inhalten gefördert werden“. Namentlich erwähnt werden die Vorfälle bei der documenta fifteen in Kassel und der Berlinale 2024.
Diese Skandale müssten „umfassend aufgearbeitet werden“. Was allerdings bereits ausführlich geschehen ist. Zudem haben auf Bundesebene Workshops stattgefunden. Die Mitarbeiter der vom Bund geförderten Kultureinrichtungen wurden sensibilisiert für den Umgang mit – spontanen – antisemitischen Aktionen. Solche Workshops gab es auch auf Landesebene für die Berliner Institutionen.
Die Crux einer Antisemitismus-Klausel
Die Komplexität der Materie zeigte sich bei der vom Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) Anfang des Jahres vorgestellten Antisemitismus-Klausel. Kaum drei Wochen später wurde sie zurückgezogen – wegen rechtlicher Bedenken und nach Protesten aus der Berliner Kulturszene. Kein Intendant, keine Direktorin will unter Generalverdacht gestellt werden. Zudem wird eine Beeinträchtigung der künstlerischen Freiheit befürchtet. Eine neue Berliner Klausel ist bisher nicht aufgetaucht.
Die Kritik an der Vorgehensweise von Ampel und Union richtet sich gegen die Heimlichtuerei – bei einem Thema von solcher Bedeutung. Verhandelt wurde die Causa hinter verschlossenen Türen. Vor allem wird moniert, dass die Politik sich taub gestellt hat. Vorschläge und Diskussionsangebote von Wissenschaftlern und Künstlern wurden bisher ignoriert.
Die Kernfrage dreht sich um die Definition von Antisemitismus. Der Text der Resolution richtet sich nach der Lesart der IHRA, der International Holocaust Remembrance Alliance. Das Problem und Dilemma, das sich ergibt: Kritik an einer israelischen Regierung kann somit als antisemitische Äußerung bewertet werden.
Da schrillen die Alarmglocken, nicht nur hierzulande. Amnesty International Deutschland, Medico international, das Wissenschaftskolleg Berlin, der Rat für die Künste Berlin, Pax Christi Deutsche Sektion und viele andere Organisationen und NGOs haben sich der Kritik an der Antisemitismus-Resolution der Fraktionsspitzen angeschlossen.

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Zu den Erstunterzeichnern eines Aufrufs mit Ergänzungs- und Änderungsvorschlägen zählen Daniel Cohn-Bendit, Wolfgang Tillmans, Carola Lentz, Susan Neiman, Deborah Feldman, Liz Rosenfeld und bald zweitausend weitere Persönlichkeiten aus dem kulturellen und akademischen Leben dieses Landes. Selten gab es eine derart breite und diverse Mobilisierung der Künstler und Intellektuellen, nach denen ja sonst gern gerufen wird in Krisenzeiten.
Kritik kommt aus Israel
Auch in Israel – und gerade dort – gibt es Befürchtungen, dass diese Resolution Schaden anrichtet. Hilfsorganisationen und kulturelle Einrichtungen, die bereits jetzt unter politischem Druck stehen, könnten ihre Partner in Deutschland verlieren und damit auch Finanzmittel, wenn als antisemitisch eingestuft wird, was sich zum Beispiel gegen die Netanjahu-Regierung und ihre Kriegsführung richtet. Solche Ergebnisse wären absurd und würden das Gegenteil dessen bewirken, was die Resolution erreichen will. Der Deutsche Kulturrat wendet sich in einer aktuellen Stellungnahme gegen einen „Bekenntniszwang, wenn Kultur-Fördermittel beantragt werden“.
Eine Gruppe von Juristen und Wissenschaftlern hat jetzt in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ versucht, die gravierenden Mängel des Bundestagspapiers zu beheben, und Vorschläge formuliert. Ralf Michaels, Jerzy Montag, Armin Nassehi, Andreas Paulus, Miriam Rürup, Paula-I. Villa Braslavsky fordern, „die Menschenwürde aller Menschen anzuerkennen und diskriminierte Bevölkerungsgruppen nicht gegeneinander auszuspielen“. Statt auf Drohszenarien setzen sie auf Eigenverantwortung. Sie lehnen juristisch unsichere Definitionen ab und befürworten konkrete Maßnahmen für eine breite politisch-historische Bildung.
Es steht sehr viel auf dem Spiel. Wenn eine Koalitionsregierung, die sich bei anderen Themen mit beliebigen Papieren bewirft, beim Thema Antisemitismus eine Resolution durchziehen will, die von vielen jüdischen Mitbürgern als kontraproduktiv betrachtet wird, dann ist das Unternehmen in dieser Form wohl gescheitert.
Für die Praxis des kulturellen und wissenschaftlichen Betriebs bringt diese Resolution erhebliche Probleme. Dürfen Personen, die Kritik an israelischen Politikern äußern, nicht mehr aufs Podium? Und gilt das auch für Künstlerinnen und Künstler, die in der Vergangenheit einmal irgendetwas unterschrieben haben? Wird boykottiert, wer israelische Politik falsch kommentiert?
Hass wird weitergetragen
Schon jetzt ist der ohnehin schmerzhafte Dialog gestört. Prominente Autoren, darunter die Nobelpreisträger Annie Ernaux und Abdulrazak Gurnah, haben zu einem Boykott israelischer Verlage aufgerufen. Die Rede ist von der „Enteignung des palästinensischen Volks“. Kein Wort über die Verbrechen der Hamas. So einseitig und blind darf man nicht vorgehen – auf keiner Seite. So wird der Hass weitergetragen.
Auch wenn es im Resolutionstext anders steht: Die Meinungsfreiheit und die Freiheit von Kunst und Wissenschaft werden allerdings angetastet, wenn es, wie der Deutsche Kulturrat jetzt warnt, zu einer „regulären Überprüfung von Antragsstellern durch den Verfassungsschutz kommt“. Ein neuer Radikalenerlass? Jüdisches Leben schützen, bewahren, stärken: Darum muss es gehen, das tut not. Aber kann ein deutsches Parlament festlegen, wie jüdisches Leben sich darstellt, hier und anderswo?
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