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Architekturkritik: Franco Stella - ein Schlüter aus Italien

Franco Stella baut das Humboldt-Forum im Schloss – sein Entwurf überzeugt mit Eleganz. Unser Architekturkritiker Bernhard Schulz über den Sieger-Entwurf.

Berlin ist immer wieder für eine handfeste Überraschung gut. Wenige Minuten vor der offiziellen Verkündigung des Juryentscheids zum Architekturwettbewerb Schloss/Humboldt-Forum kursierte der Name des Gewinners, Francesco Stella. Stella? Franco? Es blieb dem Juryvorsitzenden, dem weltläufigen Vittorio Magnago Lampugnani aus Mailand und Zürich vorbehalten, das Rätsel aufzulösen:  Der Sieger „unterschreibt mit Francesco, aber er nennt sich Franco“.

Fanco Stella aus Vicenza also, von dem kaum mehr bekannt ist als ein Messebau in Padua und eine Villa in Potsdam, wird das wichtigste Bauwerk der Berliner Nachkriegszeit ausführen. „Uns war die Bedeutung der Aufgabe klar, eine Bedeutung weit über Berlin hinaus, eine für Deutschland und Europa“, so wieder Lampugnani, dessen leise Stimme jedes hohle Pathos verhindert. „Dieses wunderbare Projekt des Humboldt-Forums muss eine angemessene Form finden und ihm einen, wenn Sie so wollen, emphatischen Rahmen geben.“

Einstimmig ist die Entscheidung der Jury gefallen; die befürchtete Konfrontation von Traditionalisten und Modernisten ist ausgeblieben. Das glaubt man beim Blick auf den Siegerentwurf sofort. Er erfüllt, wie Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee als Auslober der Wettbewerbs betonte, alle Vorgaben des Bundestages, nämlich die Wiederherstellung der drei Barockfassaden von Andreas Schlüter und die Möglichkeit der Rekonstruktion der Stülerschen Kuppel. Nicht wiedereingebaut – das wäre zulässig gewesen – wird der Volkskammersaal. Und die Rekonstruktion barocker Innenräume, insbesondere der sogenannten Paradekammern an der Lustgartenseite, bleibt ohnedies ein Fall für die nunmehr folgende Ausführungsplanung. Doch das Wichtigste für den zuletzt arg gebeutelten Politiker Tiefensee: Der Kostenrahmen scheint realistisch zu sein. 400 Millionen Euro darf der Rohbau kosten, 80 Millionen Euro wollen Wilhelm von Boddiens Schlossfreunde als Spenden für die bildhauerische Ausschmückung der Fassaden beisteuern, und die Einrichtung der Museums- und Veranstaltungssäle darf 72 Millionen Euro kosten.

Doch vom Geld war gestern nicht die Rede. Es ging – endlich – um die Architektur. Wie sie im Inneren aussehen wird, dort also, wo die außereuropäischen Sammlungen der Staatlichen Museen ihren Platz finden sollen und die „Agora“ für die wiss- und diskussionsbegierigen Massen, lässt sich naturgemäß noch nicht mit letzter Detailgenauigkeit sagen.

In der Großform aber sind Stella gleich drei Geniestreiche geglückt. Der eine ist die Überbauung des Eosanderhofes. also des westlichen und größeren der beiden Innenhöfe, dessen bauhistorische Bedeutung hinter dem des als unbedingt erhaltenswert eingestuften Schlüterhofes immer weit zurückstand. Hier hatte die Auslobung jedwede Lösung zugelassen. Stella nun setzt zwei Kuben in den gewaltigen Leerraum, gliedert ihn dadurch auf ein menschliches Maß und überdeckt ihn mit einer gerasterten Lichtdecke. Die Vielzahl und Vielgestalt der künftig in Berlins Mitte zu bewundernden Sammlungen wird dadurch unmittelbar sinnfällig. Der zweite Glücksgriff ist eine schmale Passage, die Stella – ohne die Außenfronten des Bauwerks zu verletzten – zwischen Lustgarten und Schlossplatz/Breite Straße führt, einen Durchgang, der die riesigen Dimensionen des mit allerhöchstem politischen Anspruch um 1700 erbauten Schlosses erlebbar macht und den Passanten gleichwohl nicht erdrückt. Man ist geneigt, an den schmalen Mittelgang in den Florentiner Uffizien von Vasari zu denken; auch dies ja ursprünglich kein Museum, sondern – wie der Name besagt – das politische Zentrum der Stadt; gerade so, wie es das Schloss einst für Berlin bedeutete.

Und dann die dritte Meisterleistung: die Fassade an der Ostseite, zum breiten Spreearm hin und hinübergrüßend zum Marx-Engels-Forum als dem städtebaulichen Vermächtnis der DDR. Ja, das ist „Berlinische Architektur“, wie sie in den zurückliegenden 15 Jahren zum Standard der Stadt-Rekonstruktion geworden ist (und welche Ironie, dass ihr politischer Verfechter, der frühere Senatsbaudirektor Hans Stimmann, ausgerechnet am gestrigen Entscheidungstag im Veneto weilte!). Das sind drei Reihen übereinandergestellter Fenster oder wohl eher Loggien, abgeschlossen durch ein viertes Stockwerk mit kleineren und enger gestellten Öffnungen.

Elemente dieser Fassade kehren übrigens im anliegenden Schlüterhof wieder. Dessen Mitteltrakt hin zur Schlosserweiterung seines Nachfolgers Eosander, der nie auch nur annähernd vollendet, sondern stets nicht mehr als ein besserer Gebäudeschuppen war, wird nunmehr als ein würdiger Neubauteil die Formen der „Belvedere“ genannten Wasserfassade aufnehmen. Dieser Neubau wird die großartigen Barockfassaden der drei fertiggestellten Hofseiten Schlüters mit ihren gewaltigen Risaliten, den aus der Wand vorspringenden Bauteilen mit den dahinter liegenden Prachttreppen, in zeitgenössischen Formen abschließen.

Es klingt angesichts der Nationalität Stellas nach einem billigen Scherz, seiner spreeseitigen Ostfassade „römische Größe“ attestieren zu wollen. Aber darum handelt es sich eben doch. Stellas Handschrift verrät jene Italianità, jenes Gespür für Proportion, Lichtwirkung, durchaus auch Monumentalität und Pathos, das seinen bekannteren Zeitgenossen wie Giorgio Grassi – selbst Jurymitglied und nobel genug, den Preisträger in die Nähe des verstorbenen Oswald Mathias Ungers zu rücken – oder dem so tragisch früh verstorbenen Aldo Rossi auch in Berlin Bewunderung eingetragen hat.

Einen zweiten Platz, auch das muss natürlich erwähnt werden, vergab die Jury nicht – Beleg für den überzeugenden Eindruck, den Franco Stella gemacht hat. Dafür, na schön, vier dritte Preise: an das gleichfalls unbekannte Büro Eccheli und Campagnola aus Verona sowie die in Berlin hinlänglich verewigten Christoph Mäckler, Hans Kollhoff und Jan Kleihues. Und einen Sonderpreis an die Jungstars Kühn Malvezzi. Die hatten demonstrativ auf jedwede Schlosskuppel verzichtet – gegen die Ausschreibungsvorgabe zwar, aber eben mit hohem Aufmerksamkeitswert. Manche Dinge sind in Berlin eben doch keine Überraschung.

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