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Ich bin Jude, ich darf das. Erez Israeli auf Ateliertausch in Friedrichshain.

© Doris Spiekermann-Klaas

Atelierbesucht bei Erez Israeli: Das Stechen unter der Haut

Von Tel Aviv nach Friedrichshain: Der Maler Erez Israeli hat mit Norbert Bisky das Atelier getauscht und die Nachtseiten der Stadt erkundet.

Das Atelier war ihm zu groß. Erez Israeli hat erst einmal die Tür zugemacht und sich in den kleinen Raum zurückgezogen. Dorthin, wo Norbert Bisky sonst isst oder ausruht. Ein fremder Arbeitsort ist ohnehin schon eine Herausforderung. Und solche Dimensionen wie hier in Friedrichshain kennt Israeli aus seinem Atelier in Tel Aviv nicht. Also: Tür zu und nachgedacht über das, was in den nächsten Wochen entstehen könnte.

Israelis Kunst passt auf zwei Arme – er trägt sie unter der Haut

Drei Monate lang hat der 40-jährige Künstler das Atelier mit Bisky getauscht und in Berlin gearbeitet. Sehr intensiv, das sieht man seinen Bildern, Scherenschnitten und Skulpturen an. Unterbrochen wurden die Phasen von Israelis Streifzügen über Flohmärkte, von denen er Puppen oder hölzerne Hampelmänner in Trachten mitbrachte. Und am Wochenende von ausgedehnten Clubgängen ins Berghain. Eine Leidenschaft, die er mit Bisky teilt, der wiederum drei Monate lang in Tel Aviv gewesen ist. Und während der Berliner Maler dort im vergleichsweise winzigen Atelier gigantische Formate von über fünf Metern schuf (die er aus Platzgründen in einzelnen Segmenten malen musste), ließ Israeli eine Arbeit wachsen, die auf zwei Arme passt: Er trägt sie unter der Haut.

Ihre Entstehung wollte er eigentlich in der Galerie Crone dokumentieren. Galerist Markus Peichl, der sonst Bisky vertritt, entschied sich spontan zu der Ausstellung. Er möchte zeigen, was den israelischen Künstler umtreibt, der vergangenes Jahr schon einmal in Berlin war und ein Wandbild an der Brandmauer der Kottbusser Straße 10 zurückgelassen hat. Das Ergebnis eines Wettbewerbs: Israeli widmete ihn dem von den Nazis ermordeten Juden Felix Israel, dessen Name dort in farbigen Lettern steht. Buchstabe auf Buchstabe, so dass ihn nur lesen kann, wer die Geschichte kennt. „Auf diese Weise bedeckt und löscht jeder Buchstabe den Buchstaben unter ihm aus“, schrieb der Künstler in seinem Konzept von 2014. Eine Idee, die das Offensichtliche mit dem Subtilen verbindet.

Mal sind die Nasen Mohrrüben, mal Penisse

„BRGN“ ist ungleich intimer und aufs Engste mit Israelis Körper vereint. In der Galerie Crone hätte man Fotos von seinen Unterarmen mit den tätowierten Berghain-Stempeln gesehen, die er sich jedes Wochenende geben und anschließend im Tattoo-Studio nachstechen lässt. Von den Handgelenken immer weiter hoch, die jüngsten Motive sind kaum richtig verheilt. Auch Berlins legendärer Club wäre in der Ausstellung aufgetaucht, in einem Video oder akustisch. Doch die Schau hat sich während des Aufbaus anders entwickelt. Und das Berghain-Projekt, das längst noch nicht zu Ende ist, bleibt für Außenstehende vorerst unsichtbar.

Die Ausstellung bietet auch so genug Schockpotenzial. Denn bei den Tattoos ist es nicht geblieben. Israeli hat sich das Atelier in Friedrichshain über die Wochen dann doch sukzessive erobert und schließlich die Silhouette eines riesigen Narrenschiffs geschaffen. Begleitet wird es von großen Leinwänden, auf denen es brennt, während sich die Figuren auf dem Bild – die oft aus Flohmarkt-Hampelmännern oder Puppenköpfen gemacht sind – selbstgerecht abwenden. Und es hängen kleine Zeichnungen, auf denen Israeli rassistische Witze nacherzählt und drastisch illustriert. Fast immer geht es um Nasen und große oder kleine Penisse, die an die Stelle der Nasen rücken. Eine Fantasie, die sich in Israelis „Darkroom“-Montagen wiederholt: Auf schwarz gemaltem Karton vergnügen sich Hampelmänner, an denen Fäden baumeln. Zieht man daran, richten sich die Geschlechter auf. Es gibt Porträtbüsten aus Beton, in deren Gesichtern Mohrrüben stecken, die langsam schrumpeln und durch frisches Gemüse ersetzt werden. Schließlich schmale, schöne Körperabgüsse aus farbigem Silikon, die ebenfalls eine Verbindung Nase – Penis herstellen.

Israeli: Ich bin Jude, ich darf das

Das wirkt ein bisschen penetrant und plakativ, bezieht sich jedoch auf ein von den Nationalsozialisten propagiertes Klischee, das einen Rückschluss auf die Größe beider Extremitäten behauptet. Was hämisch und bösartig gemeint war, setzt Israeli nun ein, um auf das Irrsinnige, Absurde solcher Behauptungen zu zielen. Vulgäres spielt auch in vielen der von ihm gesammelten Witze eine Rolle, und jeder in Berlin kenne welche, erklärt Israeli. Genau wie die Mär von der „Nase eines Mannes und seinem Johannes“. Bloß aussprechen will das niemand. „Erzähl mir einen Witz über Juden“, hat er am Anfang häufiger zu Freunden gesagt und selbst welche gemacht. Doch die Perspektive ist der Unterschied. „Ich bin Jude, ich darf das“, lautet sein Fazit. Er akzeptierte die Hemmungen und setzte die Recherche im Internet fort, wo er weit mehr vorfand, als ihm lieb war.

Natürlich ist diese Zurschaustellung provozierend. Doch begnügt sich Israeli nicht damit. Sie dient als Schlüssel der Erinnerung. An Vorurteile, Fremdenfeindlichkeit, Übergriffe, den Holocaust. „Die Erinnerung muss lebendig bleiben, sonst ist sie wie ein Mausoleum, und die nächste Generation kann nichts mehr damit anfangen.“ Also nutzt er seinen Körper und den Schmerz als Instrument der Intensivierung. 2009 ließ er sich einen Judenstern mit schwarzem Faden auf die Brust nähen und wurde dafür in Israel heftig kritisiert. Die Witze macht der Künstler öffentlich, weil man zugleich lachen muss und sich ertappt fühlt. Und die Stempel hat er sich tätowieren lassen, weil man unwillkürlich an jene Nummern denken muss, die jüdischen Inhaftierten in den Konzentrationslagern unter die Haut geritzt wurden. Für ihn repräsentiert „das Berghain aber auch das neue Deutschland, in dem du dich frei fühlst“.

Israeli und Berlin, nicht nur eine flüchtige Affäre

Sympathisch ist Israeli nicht zuletzt das Verständnis für diese Doppelbödigkeit. Das hat Konsequenzen. Obgleich er in Israel zu den bekanntesten Künstlern seines Landes zählt, mit Preisen und Stipendien ausgezeichnet wurde und in wichtigen Institutionen wie dem Tel Aviv Museum of Art oder dem Herzliya Museum of Contemporary Art mit Einzelausstellungen vertreten war, will er im kommenden Jahr endgültig umziehen. Natürlich nach Berlin.

Erez Israeli: „The Difference between Ooooh and Aaaah“, bis 25.4. in der Galerie Crone, Rudi-Dutschke-Str. 26. Die in Tel Aviv entstandenen Bilder von Norbert Bisky sind bis zum 30.8. in der Ausstellung „Balagan“ in Bötzow Berlin, Prenzlauer Allee 242, zu sehen.

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