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Lebenslinien. Paco Knöllers Gemälde „H457“ stammt aus dem letzten Jahr.

© Jochen Littkemann

Auf dem Sonnendeck: Die leuchtenden Gemälde von Paco Knöller

Der renommierte Künstler stellt seine jüngsten Werke in teils monumentalem Format in der Berliner Galerie Thomas Schulte aus.

Von Dorothea Zwirner

Ein leuchtendes Gelb empfängt die Besucher*innen der aktuellen Ausstellung von Paco Knöller in der Galerie Thomas Schulte. Das gelbe Triptychon „Opus 2“ von 2022 strahlt von der seitlichen Wand wie die Sonne, die alles in ihr wärmendes Licht taucht. Die abstrakten Farbbäder, zu der die sechste Einzelausstellung des Künstlers in seiner Berliner Galerie einlädt, beginnen mit einem Sonnenbad.

Dabei nuanciert sich der Farbklang der cremig gelben Ölkreide je nachdem, welche Lackfarben und -flächen ihr auf den Holztafeln zugrunde liegen. Die Palette reicht von rotem Dottergelb und weißem Sonnengelb über gründes Zitronengelb bis zu hellblauem Limonengelb. Zudem treten die geschichteten Farbmischungen nicht nur atmosphärisch durch das Abschleifen in Erscheinung, sondern auch durch die mit dem Messer hineingezogenen Linien, die die obere Farbschicht abtragen und die untere freilegen.

Auch wenn jede der drei Tafeln für sich stehen könnte, ergeben sie erst zusammen die magistrale Wirkung des Triptychons. Rechts tritt eine Wünschelrute oder Gabelung hervor, die das Auge hin- und herwandern lässt wie die Gedanken in Robert Frosts berühmten Gedicht „The Road not taken“ von 1915. In der Mitteltafel verästeln sich die Linien wie Gesteinsadern und links verlaufen eine dünne und eine dickere Vertikale wie ein Zip von Barnett Newman, die den Ausstellungstitel „Senkrecht durch den Augenblick“ als kosmische Verbindung zwischen Himmel und Erde im Hier und Jetzt anschaulich werden lassen.

Fernöstliche Spiritualität, tiefe Naturverbundenheit

„Jetzt“ heißt denn auch das zentral gehängte Querformat in Rot, das im Universal-Symbol seiner spiralförmigen Zeichnung die tiefsten Schwarzschichten zum Vorschein bringt. Dazwischen lassen gelbe und blaue Lackschichten die rote Ölkreide wärmer oder kälter erscheinen. In den pulsierenden Farbräumen verläuft die zitternde Zeichnung wie auf einem unsichtbaren Grat zwischen Eingravieren oder Hervorholen, um Linie und Farbe eins werden zu lassen. In diesem über vier Jahrzehnte zu einer unverkennbaren Handschrift entwickelten Verfahren lässt sich eine fernöstliche Spiritualität, tiefe Naturverbundenheit und Symbiose zwischen Farbe und Linie nachspüren. Der 1950 in Obermarchtal geborenen „Malerzeichner“ studierte bei Joseph Beuys an der Düsseldorfer Kunstakademie, der ihm das Potenzial der Zeichnung aufzeigte. Sein seit Ende der 1970er Jahre vor allem in deutschen Museen vielfach ausgestelltes Werk ist ab Mai 2023 in einer Soloshow in der Hilti Art Foundation in Liechtenstein zu bewundern.

Knöllers Farbräume entfalten eine so eigene Aura, dass jede der sechs Wände in dem L-förmigen Hauptraum der Galerie nicht mehr als ein Bild aufnehmen kann. Ein zweites gelbes Triptychon „Opus 1“ von 2021, das wie sein Nachfolger „Opus 2“ die Strahlkraft einer mit Rot hinterlegten Ikone hat, stammt als Leihgabe aus der Sammlung Wemhöner. Als kontrapunktisches Gegengewicht eröffnet das rußig schwarze Diptychon „Unter mir der Himmel“ von 2022 einen rot und blau hinterlegten Schwarzraum, der sich wie ein Nachthimmel im Wasser spiegelt. Staunend folgt das Auge der Zeichnung, die wie bei den Wachskratzbildern der Kindheit das verborgene Geheimnis der Farbe hervorzaubert. Nur hier und da erlaubt sich der Künstler einen Eingriff, indem er eine Linie auf- anstatt freisetzt, die wie ein greller Blitz den Nachhimmel durchzuckt.

Verhalten sich die gelben Triptychen zum schwarzen Diptychon wie Tag und Nacht, so könnte man zwei weitere Bilder von 2017 in Weiß und Blau, die das Querformat des roten Bildes aufnehmen, den Elementen Luft, Wasser und Feuer zuordnen. Aber auch ohne derartige Analogien vermittelt sich die tastende Annäherung an eine kosmologische Dimension, die „Senkrecht durch den Augenblick“ führt. In Ergänzung der sechs Großformaten (26.000–40.000,- Euro) sind sechs kleinere Bilder aus den Jahren 2016-17 im Nebenraum zu sehen (je 13.000 Euro). Sie bilden in nuce das Farbspektrum und Zeichenreservoir kristalliner, tropfen- und wabenförmiger Strukturen, mit dem sich Paco Knöller dem Wunderbaren der Schöpfung annähert.

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