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Unter Druck. Präsident Emmanuel Macron sucht Nähe in den Bürgerforen.

© AFP

Gelbwesten in Frankreich: Auf der Demo mit Trikolore, gelber Weste und Kippa

Kein rechts unterwanderter Mob: Zwei aktuelle Buchveröffentlichungen nehmen die Bewegung der Gelbwesten in Schutz.

Was wollen die Gelbwesten? Eine Antwort ist seit ihrem Auftauchen vor einem Jahr nicht unbedingt einfacher geworden. Zuletzt wollten sie am 21. September in Frankreich zusammen mit den Klimademonstranten einen aktuellen Wiederaufschwung ihrer Bewegung sichtbar machen. „Klimagerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit“ lautete das Motto.

Doch ein brutaler Polizeieinsatz verhinderte den gemeinsamen Protest. Danach dominierten die üblichen Schlagzeilen über „gewalttätige Ausschreitungen“ der Demonstranten.

Auch für deutsche Medien war es nur die Fortsetzung einer rechtspopulistischen und ökologiefeindlichen „Randale gegen Benzinsteuer“. So berichtete „Spiegel Online“, dass in Paris die „Fridays for Future“-Demonstranten sich genervt abgewendet hätten, als ein „mit gelber Weste und Gitarre ausgestatteter Sänger einen gemeinsamen Marsch“ forderte.

Und der Alt- 68er-Grüne Daniel Cohn-Bendit, heute ein Berater des französischen Präsidenten Macron, verkündete, dass „die Anhänger der Gelbwesten bei den Europa-Wahlen zu 70 bis 80 Prozent für die Rechtsextremistin Le Pen“ gestimmt hätten und „mehr über die Rente als über das Klima“ diskutierten.

Macron und den Medien ist es offensichtlich gelungen, die Gelbwesten als politische Kraft der Straße zu isolieren, weil es ihnen längst nicht mehr nur um Benzinpreise geht. Jetzt liegen erstmals deutschsprachige Publikationen mit internen Gesprächsprotokollen und offiziellen Dokumenten vor, in denen es um die erweiterten sozialen und „basisdemokratischen“ Forderungen geht.

Luisa Michael berichtet von ihren Erfahrungen vor Ort

Luisa Michael ist eine in Paris lebende Deutsche, die unter Pseudonym berichtet, wie sie sich den „Gilets Jaunes“ neugierig genähert und schließlich angeschlossen hat. Wir erfahren Details, wie eine Bewegung ohne einheitliches Programm und offizielle Sprecher organisatorisch existieren kann.

Michael führte Gespräche mit Arbeitern und Intellektuellen, distanziert sich von einem rassistischen Lastwagenfahrer und bewundert eine „schwarze Karibikfranzösin“. Am gleichen Tag, als der bekannte Intellektuelle Alain Finkelkraut von Antisemiten angepöbelt wurde, demonstrierte sie zusammen mit einem französischen Juden, „der eine Trikolore trug, die gelbe Weste und eine Kippa“.

[Luisa Michael: Wir sollten uns vertrauen. Der Aufstand der gelben Westen. Edition Nautilus, Hamburg 2019. 240 Seiten, 16 €.]

Für Luisa Michael sind die Gelbwesten „keine Herde nationalistischer, faschistischer Schafe, die einer extremistischen Bewegung nachlaufen“. Sie widerspricht dem Vorwurf der rechtsnationalistischen Unterwanderung mit dem Hinweis auf eine „Le Monde“-Umfrage, nach der über die Hälfte der Demonstranten zur Linken und extremen Linken zählen und nur knapp fünf Prozent zur extremen Rechten.

Für sie gilt immer noch das Ende November 2018 verbreitete „Kommuniqué“, in dem es heißt: „Es ist wichtig, dass jede/-r, die oder der sich an dieser Bewegung beteiligen will, dies tun kann, unabhängig davon, welches seine oder ihre Hautfarbe, Herkunft, sexuelle Orientierung, Gender oder Religion sein mag.“

Paoli verurteilt die pauschale Diffamierung der Gelbwesten

Auch der in Berlin lebende französische Schriftsteller Guillaume Paoli verurteilt die pauschale Diffamierung der Gelbwesten „als rechten, antisemitischen, hasserfüllten Mob“. Es geht ihm nicht darum, diese Bewegung „unkritisch zu loben“, sondern ihrem Versuch gerecht zu werden, das Leben in die eigene Hände zu nehmen.

Einfache Frauen und Männer hätten sich selbstständig verbündet, um „die ökologische Krise wie die sozialen Missstände, die räumliche Exklusion wie die Antiquiertheit institutioneller Politik“ zu erörtern. Die Proteste der Gelbwesten hätten gezeigt, warum grüne und soziale Anliegen zusammengedacht werden müssten. Macron sei ein Vorbild für grüne Elitenpolitik, die die Profiteure verschone und die ökologischen Kosten an die unteren Schichten verteile.

[Guillaume Paoli: Soziale Gelbsucht. Matthes & Seitz, Berlin 2019. 160 S., 15,50 €.]

Aktuelle Beispiele verfehlter Sozial- und Ökopolitik gebe es aber nicht nur in Frankreich. Es bestehe also kein Grund, auszuschließen, dass auch in Deutschland eine ähnliche Bewegung entstehen könnte, auch wenn sie sich in vielen Punkten vom französischen Modell unterscheiden würde.

Die Erklärung dafür, dass die Gilets Jaunes zu keinem „monströsen Gebilde“ wurden, sondern zu einem „mannigfaltigen und egalitären Experiment“, liegt für Paoli darin, dass „genug vorurteilsfreie Menschen sich einmischten und sich als Gleiche erkannten“. Was sich aber im Hintergrund bei den Gelbwesten im Sinne einer Neuformierung tue, sei offen.

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