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Kultur: Auf der Suche nach der zerfallenden Zeit

Die Geschichte rast: „Squatting – erinnern, vergessen, besetzen“, eine Ausstellung in der Temporären Kunsthalle Berlin

Drei Türen führen in die dreigeteilte Ausstellung. Wer „Squatting“ also aus jeder Perspektive sehen möchte, der muss die Temporäre Kunsthalle zweimal verlassen. Wer sich die Zeit dafür sparen will, bringt sich leicht um einen zentralen Aspekt des Projekts.

Denn aus der Brache auf dem Schlossplatz rundum ist längst ein Schauplatz geworden. Mit Infobox, Bauzäunen und den ausgegrabenen Schlossresten. „Squatting“ trägt dem Rechnung und öffnet das Haus für sein unmittelbares Umfeld. Mit jedem Gang nach draußen blickt man auf die Geschichte der Stadt und sieht das lärmende Geschehen der Gegenwart. Dazu passt die Hülle, die Olaf Nicolai der Kunsthalle übergezogen hat: „AutoR“ ist weiß, will nicht konkurrieren, sondern zur Tat anstiften. Tausende identische, vom Künstler entworfene Aufkleber können von den Besuchern auf die Außenhaut geklebt werden. So setzt sich die Kunsthalle in Beziehung zu ihrer Umgebung.

Nicht jede Verbindung nach draußen ist dabei so offensichtlich wie die der Absperrgitter, die Simon Wachsmuth im Inneren aufgebaut hat. Die Zäune werfen Fragen auf: Wer wurde geschützt, wer wurde abgehalten? Auf diese Weise fragt Wachsmuth nach Deutungshoheit und Machtverhältnissen.

Um diesen Aspekt geht es den Kuratoren Tilo Schulz und Jörg van den Berg in allen 22 Arbeiten. Weit weg vom Anspruch einer Leistungsschau, die den aktuellen Kunstproduktionsstandort Berlin abbildet, nimmt „Squatting“ die vergangenen Jahrzehnte in den Blick und reflektiert die Mechanismen der Erinnerung. Was will man vergessen und was ist tatsächlich vergessen? „Berlin nach 45“ zum Beispiel, wie es Michael Schmidt in seiner Fotoserie anhand der südlichen Friedrichstadt oder dem kaputten Westen am Anhalter Bahnhof zeigt. Kein Mensch wünscht sich diese Tristesse zurück. Trist ist allerdings auch, was seither dort entstanden ist: anonyme Investorenarchitektur, die nicht belebt, sondern bloß versiegelt. Da lohnt ein Blick in die Zeit, in der zumindest noch alles möglich schien.

Einen ähnlich langen Atem hat die Arbeit von Franka Hörnschemeyer. „Same Dice“ von 1989 verändert sich seit über zwei Jahrzehnten. Aus geschichteten Rigipsplatten baut die Künstlerin immer neue Installationen, die stets ein bisschen mitgenommener aussehen. Diesmal versperrt das massive Material den Weg. Der Besucher umkreist es, um die Installation „Haldensleben“ (2005/2010) von Manfred Pernice zu sehen – eine wahnwitzige Sammlung von Fotos und Objekten aus der einstigen DDR-Keramikstadt. Wissenszuwachs macht nicht unbedingt schlauer, lässt sich die Botschaft des artifiziellen Heimatmuseums übersetzen, und wer nun nach Übersicht strebt, der kann die Stufen zu Pernices Dachbalkon nehmen und einen Blick auf die komplette Ausstellung werfen. Zu sehen ist dann das „Ensemble mit Dekor“ von Anna Oppermann, ein Sammelsurium aus Zeichnungen, dokumentarischen Fotografien und Notizen, absichtlich überladen.

Videos von Bojan Šarcevic und Anna Eriksson, Installationen aus Möbeln und Haushaltsgeräten – wie sie Haegue Yank in einen Käfig sperrt oder Simon Wachsmuth zum biedermeierlichen Ensemble arrangiert – komplettieren die ambitionierte Schau von 17 Künstlern. Antje Majewski steckt ihr mit ihren „Royal Mummies“ (2006) ein Lichtlein auf. Die großen Mumiengemälde zeigen sinnfällig, was mit konservierter Geschichte geschieht. Sie zerfällt. Auch für die Temporäre Kunsthalle läuft die Zeit ab, im Herbst wird sie termingerecht schließen. Dabei möchte man sich solche Ausstellungen gern noch eine kleine Ewigkeit ansehen.

Bis 24. 5., tägl. 11 - 18 Uhr, Mo 11 - 21 Uhr

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