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NEW YORK, NEW YORK - MARCH 24: Kae Tempest performs at Music Hall of Williamsburg on March 24, 2022 in New York City. (Photo by Dia Dipasupil/Getty Images)

© Getty Images/Dia Dipasupil

Auftritt im Admiralspalast: Kae Tempest erwärmt die Herzen Berlins

Bei einem fulminanten Auftritt führte Kae Tempest das komplette Album „A Line Is A Curve“ auf. Die zwischen Rap und Spoken Word pendelnde Performance lebt von Tempests immenser Präsenz.

Die gefühlte Raumtemperatur steigt innerhalb von drei Minuten um etwa zwei Grad. Dieses nicht nur angesichts von Novembertemperaturen und Energiekrise willkommene Phänomen ist am Donnerstagabend im Admiralspalast zu erleben, als Kae Tempest auf die Bühne kommt – schweigend und lächelnd in der Mitte stehend, die warmen Applauswellen über sich rollen lassend.

Der unbestuhlte, fast ausverkaufte Saal ist erfüllt von einer Herzlichkeit, die nicht alltäglich ist bei Popkonzerten in Berlin. Tempest bedankt sich ebenso herzlich für die Begrüßung, die Zeit, das Geld und die Kraft, die das Publikum aufgebracht haben, um herzukommen.

Weil Kae Tempest das aktuelle Werk „The Line Is A Curve“ – eines der stärksten seit „Everybody Down“ (2014) – komplett und ohne Unterbrechungen aufführen will, gibt es noch die Vorbemerkung, dass es ein „Album über Körper“ ist. Und um „Körper, meinen und eure, geht es heute Abend“. Wir sollen sie spüren, verbinden, einfach machen, wonach ihnen ist.

Die Platte als Ganzes aufzuführen, macht Sinn, denn sie hat eine stimmige bogenartige Dramaturgie und vermittelt eine Ahnung davon, was Kae Tempests 1985 in London geborener Körper alles durchgestanden hat – und welch große Befreiung das Coming Out als trans und nichtbinär vor zwei Jahren bedeutete.

„Deadset on a wish that can never exist/ A transition/ I want to be is but I’m isn’t“, rappt Tempest über das schnelle Flackern des Synthesizers im Song „I Saw Light“, der ohne Beats auskommt, aber eine hohe Intensität entfaltet. Was auch für das anschließende „Nothing To Prove“ gilt. Während der Refrainzeile huscht ein Lächeln über Tempests Gesicht.

Auch sonst lächelt Tempest viel, wirkt weitaus gelöster als bei früheren Auftritten. Waren die langen rotblonden Locken einst eine Art Versteck, gibt der jetzige Kurzhaarschnitt den Blick frei auf eine ausdrucksstarke Mimik.

Ganz in Schwarz gekleidet nutzt Kae Tempest die gesamte Bühnenbreite aus, begleitet den zwischen Rap und Spoken- Word-Passagen wechselnden Vortrag mal mit ausladenden, mal mit kleineren Armbewegungen. Der Flow ist mühelos und mitreißend. Manchmal streut Tempest scharfe Betonungen ein, verdoppelt das Tempo oder kreiselt in Wiederholungsspiralen. Das Publikum lauscht gebannt und hochkonzentriert, es wird mehr mitgewippt als getanzt, doch die Körper sind bei sich und der Sache – genau wie Tempest es sich gewünscht hat.

Als einzige Musikerin steht Hinako Omori auf einem kleinen Podest im rechten Bühnenhintergrund. Sie bedient die Synthesizer und E-Pianos, übernimmt gelegentlich den Backgroundgesang. Was völlig ausreicht an Begleitung, denn Tempests Präsenz ist überwältigend. Nur bei „No Prizes“ vermisst man Lianne La Havas, die auf dem Album die sehnsüchtig-sanfte Refrainmelodie über die hallenden Klavierakkorde singt.

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Nach einer halben Stunde verfinstert sich die Stimmung. Der aus Seilen und Fäden bestehende Baum, der hinter Tempest aufragt und per Projektion seine Anmutung wechselt, gibt der Bühne etwas Unheimliches. Nebelschwaden ziehen auf, das Licht wechselt von Rot in dunkles Grün.

In monotonem, drängendem Ton rezitiert Tempest Zeilen, die von Verzweiflung und Schmerz sprechen. „There can’t be healing until it’s all broken/ Break me/ The windows are open/ The beast has awoken“. Diese Schwere weicht beim federnden Pulsieren von „More Pressure“ wieder, das den Saal in Bewegung versetzt.

Kein Mucks und kein Smartphone regt sich, während Tempest ohne Musikbegleitung das Gedicht „The Woman The Boy Became“ vorträgt, das vor über acht Jahren entstand. Es berichtet von einem Wachstums- und Wandlungsprozess, der sich ausgehend von einem „Born wrong/ Born strong“-Gefühl mittlerweile in eine heilsamere Richtung entwickelt zu haben scheint – das lassen zumindest die 90 Minuten im Admiralspalast vermuten.

Als sie enden, sind hunderte Herzen noch ein bisschen wärmer als zu Beginn – und das Strahlen von Kae Tempest erleuchtet die nasskalte Novembernacht.

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