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 Das kleine Blatt mit der Pusteblume gehört zu Handkes zeichnerischen Notizen.

© Galerie Klaus Gerrit Friese

Peter Handke als Zeichner: Aus dem Baumschatten

Kleine Wichtigkeiten: Die Berliner Galerie Klaus Gerrit Friese zeigt Miniaturen aus den Tagebüchern des Dichters Peter Handke.

Distanz bringt gar nichts, da ist Peter Handke ohne Kompromisse. Wie sollte er auch? Seine Bilder sind Notate, die in DIN-A5-Büchlein passen. Darstellungen von heimischen Pilzen, verlorenen Federn oder kleinen wie größeren Tieren. Seit den siebziger Jahren entstehen sie kontinuierlich, ergänzend zum literarischen Werk. Und wenn nun ein Galerist auf die Idee kommt, diese Miniaturen an seine Wände zu hängen, dann müssen die Besucher halt zu den Blättern kommen. Ganz nah, die Nasen fast an der Wand. So wird man unversehens wieder zum Leser.

Dafür distanziert sich Handke vorsichtshalber selbst. Der vielfach preisgekrönte Dichter, dessen politische Haltung im Jugoslawienkrieg der neunziger Jahren für Aufruhr sorgte, begreift sich als Sprachkünstler. „Zeichnungen“ gibt es deshalb von ihm bloß in Anführungsstrichen. Genau so heißt auch die sehenswerte Ausstellung in der Galerie Klaus Gerrit Friese, die nichts verkaufen will. Außer einer erwirbt die gesamte Serie jener 103 chronologisch geordneten Blätter aus den jüngsten veröffentlichten Notizen „Vor der Baumschattenwand nachts“.

Handke nutzt ein Alphabet nervöser Striche

Über die Gründe für Handkes Entscheidung, den Begriff der Zeichnung nur mit An- und Abführung zu verwenden, hat Thomas Oberender – Autor, Dramaturg und Intendant der Berliner Festspiele – jüngst öffentlich mit dem Schauspieler Fabian Hinrichs gesprochen. Es war ein spannendes Podium und verhandelte vor den Bildern gleich mehrfach das Kategorisieren, das der Orientierung dienen soll, im selben Moment jedoch auch einengt. Handke etwa verlässt mit den zeichnerischen Sujets ja gerade sein vertrautes Terrain der Worte. Bereit, sich andernorts zu versuchen, doch ohne den Ehrgeiz, im akademischen Wettstreit der Virtuosen zu bestehen. Mit dem Titel „Zeichnungen“, so folgert Oberender, mache der Autor deutlich, dass er sich in diesem Sektor als Amateur begreife. Das mag stimmen. Peter Handke dilettiert, doch er tut dies auf eine großartig eigenwillige Weise.

Den Stift hält er weiter in der Hand, tauscht aber die Buchstaben gegen ein Alphabet ebenso feinnerviger wie nervöser Striche. Seine Motive wirken, als würden sie das eigentliche Thema permanent umfahren und einkreisen, ohne es gänzlich zu erfassen. Wachstum, Bewegung, Leben, Tod: Auf kleinstem Raum setzt der Künstler den Kugelschreiber oder Bleistift immer wieder an, stoppt, fährt fort. Wie ein Kupferstecher, der Strich um Strich in die Platte ritzt – schnell, kurz und schraffierend, weil das Medium nichts anderes zulässt. Handke bedient sich ähnlicher Methoden. Seine Platane wird von einem Meer aus Blättern überwuchert, die Boote am Chiemsee sind mehr Umriss als Körper und ein totes Tier liegt auf dem Asphalt so platt wie ein Fleck auf Papier.

Kirchen und Kaulquappen

Je mehr Handke fokussiert, desto näher kommt er der Idee, im individuellen Ausdruck etwas Allgemeingültiges festzuhalten. Das Lapidare aufgelesener Steine, Nüsse, einer Muschel oder von Eiskristallen am Fenster eines Flugzeugs offenbart Strukturen, die bei der zeichnerischen Umsetzung sichtbar werden. Sie bringt Ordnung und eine Hierarchie in das Chaos der täglichen Eindrücke. Auch Schlafende oder die kleine Gruppe skizzierter Schulkinder mit ihren Ranzen auf den Rücken funktionieren, weil es dem Zeichner um Rhythmus und Strukturen geht. Farbe wird von Handke sparsam eingesetzt, wenn er feine Ölspuren auf der Straße festhalten oder im „Bild der Absurdität. Zeichnung eines Ameisenhaufens (Saualpe)“ die mobilen Massen zwischen den Baumnadeln porträtieren will. Wo Handke dagegen das komplexe Panorama einer Landschaft einzufangen versucht, driften solche Experimente noch in der klitzekleinen Darstellung einer Vignette geradewegs ins Anekdotische.

Ergiebiger ist der gesenkte, absichtslos konzentrierte Blick auf die Orte seines Wirkens. Handkes Haus im Pariser Vorort Chaville gehört ebenso zu den Schauplätzen wie das slowenische Stara oder die Picardie. Zypressen, kleine Kirchen, Kaulquappen, Flamingos – sie rangieren gleichwertig im Auge des Zeichners, der schreibend über und neben den Motiven ergänzt, was ihm wichtig ist. Diese schriftlichen Notizen sind oft bloß noch fragmentarisch vorhanden, weil Handke die Bilder für die Schau aus seinen Büchern herausgeschnitten hat. Ein Akt der Zerstörung, sicher. Aber auch einer, der deutlich macht, dass der Dichter – nach langen Stunden der Überzeugung durch den Galeristen – die Autonomie seiner Zeichnungen akzeptiert hat. Klaus Gerrit Friese kommt nun die famose Aufgabe zu, Handkes Zeichnungen in all ihrer Finesse im Original zu zeigen.

Galerie Klaus Gerrit Friese, Meierottostr 1; bis 2. 9., Di–Fr 11–18 Uhr und nach Vereinbarung

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