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Der neue Adam. Sándor Bortnyk versah die Pittura metafisica mit klaren Linien.

© Museum

Ausstellung: Die jungen Wilden aus Fünfkirchen

Sie strömten aus in alle Bereiche: Architektur, Fotografie, Möbelbau, Grafikdesign, Weberei. Eine Berliner Ausstellung zeigt, wie Ungarn das berühmte Bauhaus aufmischten.

Mag sein, dass sie es selbst nicht bemerkt haben, damals. Auch jahrelang nach dem Ende des Bauhauses hat kaum jemand darauf aufmerksam gemacht, wie wichtig der Einfluss der Ungarn auf die legendäre Kunstschule der Weimarer Republik war. Geheime Unterwanderung? Davon kann nicht die Rede sein. Doch im Jubiläumsjahr des Berliner Bauhaus-Archivs, das vor 50 Jahren gegründet wurde, und im Kulturhauptstadt-Jahr von Pécs kommt groß heraus, was in kleineren Ausstellungen, Publikationen immer mal wieder zutage trat. Zahlenmäßig mögen die Ungarn nicht viele gewesen sein, gerade 25 unter den über 1000 Kunstschaffenden in Weimar, Dessau und zuletzt Berlin. Aber diese wenigen bildeten die drittstärkste nationale Gruppe und prägten der Einrichtung ihren Stempel auf. In ihrer Funktion als Lehrer wie Marcel Breuer oder László Moholy-Nagy, dem zurzeit eine Retrospektive im Gropius-Bau gewidmet ist, prägten sie Generationen.

„Von Kunst zu Leben“ heißt die große Schau im Berliner Bauhaus-Archiv in Anlehnung an einen Buchtitel von Moholy-Nagy, der jedoch nie publiziziert wurde. Zuvor war die Ausstellung in Pécs zu sehen, wo sie als wichtigstes Ereignis des Kulturhauptstadt-Programms galt. Zu Recht, denn hier wird nicht nur ein bislang fast unbekanntes Kapitel Bauhaus-Geschichte aufgeschlagen, sondern auch die europäische Dimension dieser international ausstrahlenden Schule und Produktionsstätte offenbar. „Von Kunst zu Leben und wieder zurück“ hätte es auch heißen können, denn mit den Ungarn kam eine turbulente Truppe an die neu gebildete Institution, die in ihren Anfängen noch dem Expressionismus nahestand. Sie brachten die osteuropäische Avantgarde ein, die sich hier mit der niederländischen De-Stijl-Bewegung traf und eine neue Idee von Kunst und Kultur amalgamierte.

Spätestens 1920, mit dem Ende der Räterepublik, mussten die linksorientierten Künstler ihre Heimat verlassen. Über Wien, wo sie – von der konservativen Akademie enttäuscht – nur kurz Station machten, gelangten sie nach Weimar. Der Abdruck des enthusiastischen Gründungsmanifests von Walter Gropius in einer ungarischen Zeitschrift hatte Marcel Breuer und Fred Forbát angelockt. Schnell holten sie ihre Freunde nach. Die siebenköpfige Gruppe aus Fünfkirchen, so der deutsche Name für die danubische Stadt, waren die wichtigsten Ungarn am Bauhaus. Sie strömten aus in alle Bereiche: Architektur, Fotografie, Möbelbau, Grafikdesign, Weberei.

Doch erst mussten die jungen Künstler ihr eigentliches Feld hinter sich lassen, die Malerei, für die es keine eigene Klasse gab. Die Ausstellung zeigt den Annäherungsprozess. Zunächst malten die jungen Ungarn noch im kubo-expressionistischen Stil, einem Mix aus Cézanne und Blauer Reiter. Bei der Drucklegung ihrer auf einer Italienreise gesammelten Eindrücke für eine Grafikmappe wird der Einfluss der neuen Umgebung sichtbar: Farkas Molnárs südliche Landschaft lehnt sich an die abstrahierenden Bilder Paul Klees an, die Schrift vom Inhaltsverzeichnis der Mappe erscheint in den schlanken Lettern Johannes Ittens, das Deckblatt zeigt die kräftigen geometrisierenden Akzente Theo van Doesburgs. Und Marcel Breuer musste regelrecht zur Schreinerwerkstatt gedrängt werden, da er sich als Maler verstand.

Ohne diesen Druck hätte er nie die Stahlrohrmöbel erfunden, die heute für die funktionale Ästhetik des Bauhauses stehen und an einer Ausstellungswand aufgereiht sind. Breuers expressiver „Afrikanischer Stuhl“ aus bunt bemaltem Eichenholz mit farbiger Weberei von Gunda Stölzl bildet den Gegenpol. Sein Erstlingswerk als Schreiner ist noch ganz von der ungarischen Volkskunst geprägt. Kein Wunder, dass der „Negerthron“, wie er auch hieß, in Vergessenheit geriet, nachdem er sogleich als Hochzeitsgeschenk verkauft wurde. Der „romantische“ Breuer war zum Rationalisten geworden. Erst 2005 trennte sich die Familie vom Unikat und übergab es dem Archiv.

Die Ungarinnen reüssierten vor allem in der Fotografie und in der Weberwerkstatt. Moholy-Nagy hatte zuvor die experimentelle Fotografie mit steilen Winkeln und Solarisation eingeführt. In der Klasse Peterhans lernten Fotografinnen wie Irena Blühová das Reportagehandwerk und brachten starke Bilder vom Landleben ihrer Heimat mit. In der Webereiwerkstatt machte Otti Berger Karriere und wurde Meisterin der Textilwerkstatt. Von ihr stammt eine Flügeldecke zum Schutz des Instruments. Im Zentrum prangt ein orangefarbenes Quadrat, als wäre es eine abstrakte Sonne.

Den größten Einfluss aber übten die Ungarn im Bereich der Architektur aus. Gropius hatte ihr Talent gleich erkannt und aus ihren Reihen stets Mitarbeiter für sein Büro rekrutiert. Auch wenn Georg Muches Vorschlag gebaut wurde, so erlangte Molnárs Beitrag für den internen Wettbewerb „Haus am Horn“ Berühmtheit. Seine quadratische Fassade erscheint im Signalton Rot, gemäß der von Kandinsky unterrichteten Farblehre. Die markante Pergola, die das würfelförmige Haus rahmt, übernahm Gropius für viele Entwürfe. Zu seinem Mitarbeiter wurde Stefan Sebök, der für sein Diplom ein Theater mit drehbarer Bühne plante. Für Piscators „Totaltheater“ sollte er diese Ideen weiterentwickeln.

Den Ungarn lag die am Bauhaus favorisierte klare Linie, das rational Strukturierte. Und doch mischten sie das Bauhaus mit ihrem Temperament auf. Legendär sind Andor Weiningers Auftritte mit der Bauhaus-Band. In seinem Werk kreuzen sich Entertainment und die am Haus waltende Strenge. So entwarf er eine mechanische Bühne für eine abstrakte Revue. Achtzig Jahre später wurde nun sein fantastisches Kugeltheater zumindest als Modell realisiert: Die Zuschauer sitzen rundum in Logen, in der Raummitte drehen sich Bühnen spiralförmig um eine Achse. Für den Bau war das Kugeltheater nie bestimmt, es sollte Utopie bleiben. Die Ungarn am Bauhaus brachten fern der Heimat den Übermut mit, der das Bauhaus bis heute einmalig macht.

Bauhaus-Archiv, Klingelhöferstr. 14, bis 21.2.; Mi-Mo 10-17 Uhr, Katalog 25 €.

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