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Ausstellung: Herr, lass uns überleben!

Rom und die Barbaren: Der Palazzo Grassi in Venedig erzählt die alte Geschichte der Migration neu

Was für ein Hauen und Stechen! Brutal schlagen die Reiter mit ihren Schwertern auf die bereits am Boden liegenden Barbaren ein, die schützend ihre Arme vor das Haupt heben; gnadenlos werden die nur mit einem Lendenschurz bekleideten Bartträger von den glatt rasierten, hoch- gerüsteten römischen Soldaten mit Lanzen durchbohrt, mag der Sieg auch längst ausgemachte Sache sein. Der in den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts in Rom entdeckte Portonaccio-Sarkophag – so genannt nach dem Stadtviertel, in dem er gefunden wurde – gehört zu den feinsten bildhauerischen Darstellungen einer höchst blutrünstigen Begegnung zwischen Römern und ihren Feinden. Nur das Gesicht des im Zentrum reitenden Offiziers ist nicht ausgearbeitet; er sollte erst nach dem Tod des Auftraggebers sein Antlitz erhalten. Denn nichts sorgte mehr für Nachruhm, nichts ließ sich propagandistisch besser ausschlachten als die Niederschlagung der verhassten Barbaren.

Diese Lesart hat sich bis heute gehalten, auch wenn die Geschichte längst über das Römische Reich hinweggegangen ist. Am Ende zerbrach es – neben internen Auseinandersetzungen – nicht nur am Ansturm der Eindringlinge, den ebenso brutalen Eroberungszügen der Hunnen, Goten und Vandalen, sondern vor allem an der gegenseitigen Annäherung. Die Barbaren waren nicht länger die wilden, unzivilisierten Horden, sondern Nachbarn, mit denen man Handel trieb, in kulturellen Austausch trat und sich schließlich verband.

„Rom und die Barbaren – die Geburt einer neuen Welt“ ist programmatisch die kulturhistorische Ausstellung im Palazzo Grassi in Venedig überschrieben. Über 2000 Objekte aus 23 Ländern demonstrieren diesen ein Jahrtausend währenden Prozess einer Achsverschiebung von den mediterranen Gestaden ins Herz des heutigen Europas. Die archäologische Superschau bietet nicht nur eine geballte Ladung Geschichtsunterricht, sie hat auch die politische Vertracktheit der Gegenwart, ja zukünftige Sichtweisen im Sinn. Schließlich klopfen wieder fremde Völker an die Pforten der Alten Welt; die Barbaren von gestern sind die Migranten von morgen. Zumindest hatten die Ausstellungsmacher dies im Hinterkopf, als sie das Hohelied der friedlichen Koexistenz anstimmten. Wie einst profitieren auch wir von den Einflüssen, Leistungen, Andersheiten der hereindrängenden Heimatsuchenden. Es kommt nur auf die Perspektive an.

Eine solche Ausstellungsthese passt nicht nur in die aktuelle politische Landschaft, sie scheint auch François Pinault, dem neuen Hausherrn des Palazzo Grassi, auf den Leib geschrieben. Mit „Rom und die Barbaren“ knüpft er dort wieder an, wo der Automobilhersteller Fiat das repräsentative Ausstellungshaus am Canal Grande bei seinem überstürzten Ausstieg nach dem Tod von Clan-Chef Agnelli stehen ließ. Für 29 Millionen Euro hatte der französische Multimilliardär, dem unter anderem die Gucci-Gruppe, Yves Saint-Laurent und das Auktionshaus Christie’s gehören, den prächtigen Palazzo erworben und vom japanischen Star-Architekten Tadao Ando für seine Privatsammlung umbauen lassen. Nach ersten Präsentationen seiner 2000 Werke umfassenden Kollektion setzt Pinault nun wie zuvor Fiat mit den Kelten und Etruskern auf kulturhistorische Ausstellungen. Die aus Museen in ganz Europa herbeigeschafften Leihgaben – von der Goldbüste des Marc Aurel bis hin zu den Grabschätzen des Frankenkönigs Childerich – verleihen damit auch dem Kunstemporkömmling historische Weihen. Die hat sich der Selfmademan auch andernorts besorgt. Nach erfolgreichem Wettrennen mit der Guggenheim-Foundation um die aus dem 17. Jahrhundert stammenden Zollgebäude gegenüber vom Markusplatz wird er dort ab 2009 dauerhaft seine Sammlung zeigen, während der Palazzo Grassi für Wechselausstellungen reserviert bleibt.

So passt auch auf Pinault die Geschichte des Eindringlings, der durch importierte Kulturgüter und frisches Geld hoch willkommen ist. Mag sein, dass deshalb der aus übereinandergestapelten Kochtöpfen gebildete gigantische Totenkopf des indischen Künstlers Supotah Gupta an der Anlegestelle des Palazzo Grassi bislang geblieben ist. Pinault sieht sich selbst im Geschäftsleben wie auf dem Kunstparkett gern in der Rolle des Piraten.

Auch im 19. Jahrhundert wusste man den Niedergang des römischen Reiches bei gleichzeitigem Erstarken der barbarischen Völker für sich zu interpretieren: als nationalstaatliche Selbstvergewisserung. Immer wieder sind in die Ausstellung Historienbilder gestreut, wie etwa jenes Gemälde von Paul-Henri Motte aus dem Jahr 1886, das den Besuch des widerständigen gallischen Kriegerfürsten Veringetorix im Lager von Julius Cäsar zeigt. Die mit beherzter Aktualität angegangene Ausstellung bleibt dadurch zwischen den Epochen hängen, da sie ansonsten allein auf die Anschauungskraft der Objekte setzt und jegliche mediale Aufbereitung verweigert, wie sie heute in jedem archäologischen Museum üblich ist. Was als Reise in die Vergangenheit begann, führt letztlich nicht in die Gegenwart oder Zukunft, sondern dient einer konservativen Traditionssetzung. Nur in wenigen Beispielen scheint letztlich die Geschichte der Menschen auf. So steht auf einem in Sirmium, im heutigen Serbien, gefundenen Ziegelstein die Inschrift: „Christus unser Gott! Hilf dieser Stadt, jage die Awaren davon, schütze die römische Erde und den, der diese Zeilen schreibt. Amen“

Palazzo Grassi, Venedig, bis 20. 7.; anschließend Bundeskunsthalle Bonn.

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