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Vostells Assemblage "B 52 (Lippenstiftbomber)"

© Galerie aKonzept / VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Ausstellung Wolf Vostell: Schockfrost

„Außerordentlich hässlich“ nennt die Galerie aKonzept ihre Ausstellung über Wolf Vostell – ein Spiel mit Provokationen.

Diese Analogie muss man erst einmal sehen, denken, spüren. Wie sehr sich ihre Formen ähneln, die der Bomben, die aus der Boeing B52 fallen, und die der Lippenstifte, die Wolf Vostell 1968 auf das als große Serigrafie reproduzierte Zeitungsfoto collagierte, oder präziser: „dé-coll/agierte“, wie er seine Methode nannte. Unheimlich ähnlich, die rot leuchtenden Kosmetik-Accessoires auf dem grobkörnigen Blow-up, wo nicht auszumachen ist, ob der B52-Bomber über den Wolken schwebt oder über rauchgeschwängerten Landschaften. Seine Drastik und irritierende Kälte hat das Multiple bis heute nicht verloren. Eine Ikone im Werk des 1998 verstorbenen Künstlers. Auf dem Auktionsmarkt ist es das mit Abstand teuerste, ein Probedruck der 20er-Auflage hängt im New Yorker Museum of Modern Art, und auch das Exemplar in der Berliner Galerie aKonzept ist bereits für eine hohe fünfstellige Summe verkauft.

Erstaunlich dennoch, dass der Protagonist der Fluxus-Bewegung, der wegweisende Medienkünstler und stete Stachel im Fleisch der Bonner Republik, die Marke von 100 000 Euro auf Auktionen bis heute nicht gerissen hat. Oder dass das Original aus der Serie „Der Tote, der Durst hat“ in der aktuellen Ausstellung für nur 6000 Euro zu haben ist. Eine einsame Landschaft. Auf den ersten Blick ein zartes, fast spätromantisch anmutendes Gemälde.

Wäre da nicht der Suppenteller mitsamt den Erd- und Steinbröckchen schroff aufs Bild montiert. Typisch Vostell: Gegensätze prallen aufeinander, Kunst, Leben und Tod zünden verstörende und erhellende Funken zugleich. Bloß nicht schönmalen. Auch das Aquarellbild ist nicht gemalt, sondern ein auf Leinwand gedrucktes Foto, geschickt und suggestiv überarbeitet.

Vostell entzweite nicht nur die Kunstwelt

Was man von der Malerei des Spätwerks leider nicht sagen kann. Zu offensichtlich und eher ungelenk führte da der Geist Picassos den Pinsel. Vielleicht dann doch ein Zugeständnis. Denn Fluxus war per definitionem ephemer, sperrig und nicht gerade kunstmarktgängig. Mit dem Ausstellungstitel „Außerordentlich hässlich“ tritt die Galerie aKonzept die Flucht nach vorn an. Die Nobilitierung der Destruktion als Transformation. Schließlich liegt auch die Schönheit im Auge des Betrachters – und da scheint Aufbauarbeit im Fall Vostell nach wie vor notwendig. Obwohl das Urgestein durch seine Happenings, Aktionen und Interventionen weltweit Beachtung fand, mit großen multimedialen Installationen in den Sammlungen internationaler Museen vertreten ist. Obwohl er – nicht zuletzt mit einbetonierten Autos wie dem „Ruhenden Verkehr“ in Köln oder dem „Concrete Traffic“ in Chicago – über die Kunstwelt hinaus Aufsehen erregte. Anlässlich der 750-Jahr-Feier brachten die „Zwei Beton-Cadillacs in Form der nackten Maja“ nebst Olaf Metzels Installation „13.4.1981“ gar die Berliner Bürger auf die Straße. Mehrfach und aufwendig restauriert, sind die einbetonierten Cadillacs heutzutage eine Art Wahrzeichen am oberen Ende des Kurfürstendamms.

Bleibt die Frage, warum es nach seinem Tod trotzdem relativ ruhig um Wolf Vostell geworden ist. Nicht einmal anlässlich des 80. Geburtstags im Jahre 2012 hat eines der großen Museen eine Retrospektive ausgerichtet. Galerist Hermann Braun und sein Zürcher Partner Raphaël Lévy widmen dem Künstler, der fast 30 Jahre in Berlin gelebt, gearbeitet und seine Spuren hinterlassen hat, die erste Einzelausstellung seit rund 15 Jahren.

Rückblickend kann „Der Tote, der Durst hat“ aber auch für die generelle Widersprüchlichkeit der Fluxus-Künstler gelesen werden. Das künstlerische Aufbegehren gegen jede Form der Kommerzialisierung hielten Vostell und Mitstreiter wie Joseph Beuys oder Klaus Staeck nicht davon ab, 1970 in einer spektakulären Aktion Einlass zur Eröffnung des Kölner Kunstmarkts, des Vorläufers der heutigen Art Cologne, zu fordern. Sie haben ihn bekommen. Vielleicht aber das ein oder andere Mal doch zu fest in die Hand gebissen, die sie zugleich füttern sollte.

Alles andere als ein Diplomat

„Ein Diplomat war Vostell nicht“, sagt Heinrich Liman, der den Künstler viele Jahre als Sammler begleitet und sein Potsdamer Museum fluxus plus rund um den Freund aufgebaut hat – mit der umfangreichsten Vostell-Präsentation in Deutschland. In den letzten Lebensjahren hatte Vostell die Vermarktung seiner Kunst denn auch in die Hand seines Sohnes Rafael Vostell gelegt, der den Nachlass für die Familie verwaltet. Vor allem aber war er – mit all seiner Präsenz, der imposanten körperlichen Erscheinung, dem stets perfekt stilisierten Outfit und dem Habitus des patriarchalen Großkünstlers – ein exzellenter Selbstvermarkter. Scharte er eine treue Sammlergemeinde um sich herum, für die eben auch die Künstlerpersönlichkeit in den Werken steckt und die sich nicht davon trennen.

Erhellend ist aber auch der Blick nach Spanien. 1976 erwarb Vostell mit seiner Frau Mercedes Vostell in der südlich gelegenen Extremadura eine ehemalige Wollwäscherei und baute sie zum Museo Vostell Malpartida aus. Rund um das historische Gebäude ranken sich überdimensionale Skulpturen in einer atemberaubenden Felslandschaft, noch zu seinen Lebzeiten wurden die eigenen Bestände durch eine umfangreiche Schenkung des Italieners Gino di Maggio ergänzt. Ein Besuch ist für Vostell- wie auch für Fluxus-Freunde eigentlich ein Muss. Seit geraumer Zeit wird es staatlich betrieben, mit der Witwe als künstlerischer Direktorin. Gerade da liegt die Krux. Es wird gepflegt und gewürdigt; allerdings geradeso, als sei der 1932 in Leverkusen geborene Künstler eine rein spanische Angelegenheit. Schon durch die Homepage findet sich nur, wer der Landessprache mächtig ist. Eine Übersetzung wenigstens ins Englische? Fehlanzeige. Nach Deutschland dringt da wenig hinüber, oder wenn, taucht Vostells Lebenswerk, samt dem Archiv, auf den Reiseseiten auf.

Das Schockmoment von Werken wie „Lippenstiftbomber“ oder der Verwischung „Coca Cola 2“ (20 000 Euro), wo das Kultgetränk einem versehrten Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg gereicht wird, ist fast verflogen. Die künstlerische Provokation längst museal und obendrein von der Werbeindustrie absorbiert. Trotzdem zeigen sich in den mehr als 20 Assemblagen, Dé-coll/agen, Bronzen und Beton-Objekten aus den Jahren 1958 bis 1980 eine ungebrochene Aktualität und Vostells künstlerischer Erfindungsreichtum. Mit dem Blick von heute ist das nicht nur außerordentlich hässlich.

Galerie aKonzept, Niebuhrstr. 5; bis 21. August, Di–Fr 15–18 Uhr, Sa 14–19 Uhr

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