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Um 1606 malte Rubens das Verlobungsporträt der Marchesa Maria Grimaldi.

© Derrick E. Witty

Ausstellung zu Peter Paul Rubens in Büssel: Glorioser Bastard

Gewalt und Sinnlichkeit: Eine Ausstellung im Brüsseler Palast der Schönen Künste präsentiert Peter Paul Rubens als Tarantino des Barock.

Der Mann weiß nicht, wie ihm geschieht. Das Entsetzen, die vollkommene Überraschung spiegelt sich in seinem Gesicht. Von hinten ist dem orientalischen Reiter ein Tiger aufs Pferd gesprungen und hat sich in seiner Schulter verbissen. Die eine Tatze krallt sich in die Brust, die andere von hinten in seine Stirn. Der Turban verrutscht, der Mann verdreht sich quer über dem Rücken seines Schimmels, der sich panisch aufbäumt. Vom Triumph des Menschen über die Kreatur ist in Peter Paul Rubens’ „Tiger- und Löwenjagd“ aus dem Jahr 1617 wenig geblieben. Das Mitleid des Betrachters dieser gewalttätigen Szene steht aufseiten der Tiere: Die Tigermutter versucht im Tumult gerade noch ihre Jungen in Sicherheit zu bringen, ein Leopard liegt von Lanzen durchbohrt blutend am Boden.

Rubens’ Gemälde ist ein Meisterwerk der dramatischen Inszenierung. Der Kampf wogt hin und her, fasziniert verfolgt das Auge die Vor- und Zurückbewegungen im Gewusel der Leiber. Eine geheime Choreografie schiebt sie zusammen, lässt hier eine Diagonale, dort eine parallele Linienführung entstehen, die den Drive verstärkt. Ohne Regisseur zu sein, das Kino zu kennen, spielt Rubens bereits mit den Mitteln des Films, Parallelmontage, Close-up und sehr viel Blut.

Er war der Tarantino seiner Zeit, formuliert es Kurator Nico van Hout, denn ebenso wie der Maler des 17. Jahrhunderts und der Gewalt-Regisseur der Gegenwart muss auch ein Museumsmann mit Schlüsselreizen spielen, um das Publikum zu gewinnen. Rubens, der Pulp-Painter des barocken Zeitalters. „Gewalt“ lautet entsprechend ködernd das erste Kapitel der großen Ausstellung im Brüsseler Bozar, dem Palast der Schönen Künste, die den Maler nicht nur als großen Europäer feiert, sondern auch als Vorbild durch Zeiten und Länder.

"Frauen, von Satyrn verfolgt" von Honoré Daumier.
"Frauen, von Satyrn verfolgt" von Honoré Daumier.

© Brian Merrett

Sex & Suspense ziehen immer, Gewalt als Ouvertüre reißt die Betrachter auch 400 Jahre später noch mit. Welche Wirkung dieser Berserker der Kunst aber auf seine eigene Gilde hatte, die Maler, das wurde erstaunlicherweise bislang noch nicht untersucht. Vielleicht liegt es daran, dass seine Kollegen nicht immer gut auf diesen Potentaten der Leinwand zu sprechen waren, der sich mit seinem furiosen Strich, den genialen Kompositionen auch Jahrhunderte später immer noch wie ein Platzhirsch aufführt. Und doch schauten die Nachfolger sehr genau hin mit der unausgesprochenen Frage: „Wie haben Sie das gemacht, Mr. Rubens?“ Eugène Delacroix malt über 200 Jahre später in seiner „Löwenjagd“ (1855) ebenfalls ein dramatisch orchestriertes Bäumen, Stürzen, Zähneblecken von Mensch und Tier, das offensichtlich von Rubens inspiriert ist. Doch bei ihm behalten die Turbanträger die Oberhand. Dafür liegt bei Delacroix ein sterbender Orientale am rechten vorderen Rand, die Waffe von sich gestreckt, und kein Tier wie bei Rubens.

Das Zugpferd Rubens dient vor allem als Stichwortgeber

„Sensation und Sinnlichkeit. Rubens und sein Vermächtnis“ lautet der Titel der über 160 Werke umfassenden Schau, die allerdings nur zu einem Viertel Bilder von Rubens bereithält. Der Besucher fühlt sich geneppt, denn das Zugpferd Rubens dient vor allem als Stichwortgeber. Nicht immer leuchten die Bezugnahmen ein wie beim Vergleich mit dem Jagdbild von Delacroix. So hat Oskar Kokoschkas „Loreley“ (1941/42) nur sehr entfernt mit Rubens zu tun, das mögliche Vorbild „Neptun die Wogen beruhigend“ wird nicht einmal gezeigt.

Bei Kokoschka sitzt statt des Meeresgottes eine glubschäugige Queen Victoria auf einem Hai, den sie mit Seemännern füttert. Im Hintergrund sinkt ein Kriegsschiff. Was das mit Rubens zu tun hat? Der Barockmeister verstand sich vollendet auf politische Allegorien, König James I. beauftragte ihn mit dem Deckengemälde für die White Hall im Londoner Banqueting House, Maria de Medici mit der Gestaltung des Palais du Luxembourg in Paris. Heutige Betrachter können die Raffinesse seiner Bilderzählungen, die gewitzten Anspielungen kaum noch nachvollziehen. Trotzdem bleiben sie schön anzusehen. Kokoschkas Allegorie auf den Niedergang der britischen Marine wirkt dagegen platt.

Die Sprünge in der Ausstellung erscheinen zu additiv

Das Konzept der Ausstellung geht nicht wirklich auf. Die einzelnen Motive wirken kapitelweise durchkonjugiert, die Sprünge von Rubens zu Böcklin, Daumier, Rembrandt, Picasso, Renoir und wieder zurück erscheinen zu additiv, als dass eine Ausstellungserzählung entsteht, sich ein Spannungsbogen von einem Saal zum anderen zieht. Nur bei den Porträts, da steht die Zeit plötzlich still, da knüpft sich ein unsichtbares Band zwischen den Bildern durch die Intensität der Blicke, die starken Persönlichkeiten.

Dass Rubens im Wandtext marktschreierisch als der Erfinder der italienischen Diva beworben wird, der mit seinen lebensgroßen Bildnissen den reichen Bänkern Genuas und ihren in Samt und Seide gehüllten Gattinnen zu schmeicheln verstand – geschenkt. Sein Porträt Maria Grimaldis hatte zweifellos die Funktion zu imponieren, denn es handelt sich um ein Verlobungsbild: die eindrucksvollen Gemächer, die kostbare Kleidung, die teure Perlenkette – alles perfekt arrangiert.

Der hässliche Zwerg steigert die Schönheit der Marchesa

Der besondere Clou ist die zweite Figur im Bild: Ein hinter Maria Grimaldi stehender Zwerg rafft den rot wallenden Vorhang beiseite, um Licht auf das zarte blasse Antlitz der jungen Frau fallen zu lassen und es besser zur Geltung zu bringen. Die unmittelbare Nachbarschaft zu seinem groben Gesicht, der roten Nase, den schielenden Augen steigert die Schönheit des Mädchens. Zwanzig Jahre später malt Rubens’ Lieblingsschüler Anton van Dyck eine andere Genueser Edelfrau. Auch hier gibt es machtvolle Säulen als Kulisse, rote Vorhänge, schwere Teppiche, eine schwarzes üppiges Kleid und ein hüpfendes Hündchen. Doch diese Dame scheint fast an ihrer Noblesse zu ersticken, wäre da nicht der kleine Sohn an ihrer Hand. Fast wirkt die Szene tragisch. Auf dem nächsten Titel der „Vogue“ würde man allerdings beide Damen nicht erwarten, wie Ausstellungskurator von Hout in seinem Eifer vorschlägt, um Rubens und seine Nachfolger als up to date zu vermarkten.

Trotz aller Rhetorik lässt sich Rubens sich nicht als Zeitgenosse eintüten, auch wenn die dargestellten Gefühle, Angst, Aggressivität, zärtliche Hingabe, sich bis heute ungebrochen mitteilen. Die nachfolgenden Künstlergenerationen suchten selektiv aus, was sie von dem Universalgenie Rubens gebrauchen konnten. So schätzten die Spanier die religiösen  Motive, die Engländer die Porträts, die Franzosen die Erotik und die Deutschen die romantischen Landschaften, die der Künstler gegen Lebensende zu malen begann. Rubens aber als Urvater des Rokoko und der Romantik, des Orientalismus und Impressionismus zu verkaufen, das führt doch zu weit. Gewiss, in der Kunstgeschichte hängt irgendwie alles mit allem zusammen. Mit viel gutem Willen ließe sich da auch ein Weg von Rubens’ Bacchanalien am See zu den Badenden von Cézanne führen.

Brüssel, Bozar, bis 4. Januar. Katalog (Seemann Verlag) 49, 95 €.

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