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Rohkunstbau: Brüder, zum Rot!

Künstlerische Landpartie: Das Ausstellungsprojekt Rohkunstbau gastiert in der Potsdamer Villa Kellermann.

Rot ist die Liebe, Rot ist der Hass. Rot ist der Tod, Rot ist die Rettung aus der Not. Rot ist das Blut, Rot ist die Gewalt. Wer Rot sagt, der sieht, der fühlt die Farbe bereits, so stark ist ihre assoziative Kraft. Vielleicht liegt es daran, dass alle Kunst dahinter verblassen muss. Die Farbe Rot bildet in diesem Jahr das Leitmotiv von Rohkunstbau XV, nachdem die beiden Vorgängerausstellungen gemäß der Trilogie des polnischen Filmemachers Krzysztof Kieslowski Blau und Weiß gewidmet waren. Ebenso wie die Farben der Trikolore die Begriffe liberté, egalité, fraternité repräsentieren, arbeiten sich die Künstler nun am Begriff der Brüderlichkeit ab. Diesmal sind sie in der Potsdamer Villa Kellermann zu Gast.

Was als grandioses Finale der Ausstellungsreihe gedacht gewesen war, ist nur noch ein Abglanz der großen Zeit, als sich das Kunstpublikum auf Landpartie begab und überraschende Ausstellungen in einem Spreewaldschloss zu sehen bekam. Die räumlichen Unwägbarkeiten, der Verlust einer festen Adresse werden ablesbar. 2006 musste das ländliche Ausstellungsprojekt wegen Verkauf der Immobilie das Schloss Groß Leuthen verlassen. 2007 fand es Unterschlupf im Schloss Sacrow und wurde durch Filmarbeiten erneut verdrängt. Anfang 2008 war Rohkunstbau nicht mehr existent, da es ohne Bleibe keine Fördergelder gibt.

Die marode Villa Kellermann mit ihrer bizarren Geschichte ist ein Notquartier; ihr Werdegang spricht Bände. Der Prachtbau von 1913, einst Gästehaus der höfischen Gesellschaft, im Krieg von der Obersten Heeresleitung belegt, zu DDR-Zeiten Sitz des Kulturbundes, seit Fall der Mauer Spekulationsobjekt, ist Spiegelbild wechselnder Zeitläufte. Wenn ein übereifriger Kurator die Ausstellung dann auch noch mit den Themen Brüderlichkeit und 60. Jahrestag der Menschenrechtserklärung befrachtet und die Farbe Rot vorgibt, kann es nur noch kollabieren. Den künftigen Ausgaben von Rohkunstbau ist nicht nur eine feste Bleibe zu wünschen, sondern auch eine konzeptionelle Verschlankung.

Dass die Reise dennoch lohnt und auch die groteske Gleichzeitigkeit von Restaurant mit eher peinlichem angeschlossenen Galeriebetrieb im Erdgeschoss schnell in Vergessenheit gerät, ist den interessanten Künstlerpositionen zu verdanken, die Mark Gisbourne ausgewählt hat. An diesem Punkt bleibt Rohkunstbau unschlagbar: Die Teilnehmerliste liest sich exquisit, auch wenn Richard Hamilton mit seinen Grafiken eine Mogelpackung ist. Der englische Vater der Popart muss als Chronist westlichen Konsumverhaltens herhalten: In der kapitalistischen Welt funktionierte die Verbrüderung vor allem auf dieser niederen Ebene, lautet die Botschaft.

Nach diesem didaktischen Donnerschlag kann es nur noch besser werden. Diese Interpretation hätte man sich besser geschenkt. Und doch braucht es einer Erklärung, etwa um den Beitrag von Jonathan Monk zu verstehen. Der britische Künstler stellte zwei Standuhren so eng einander gegenüber, dass die Ziffernblätter kaum noch zu erkennen sind. Mit fortschreitender Zeit verlieren sie zunehmend ihre Synchronität. „The odd couple“ hat Monk sein Werk genannt, in Anspielung auf die gleichnamige Filmkomödie von Jack Lemmon und Walter Matthau sowie eine Arbeit von Felix Gonzalez-Torres, der einst zwei absolut parallel laufende Wanduhren nebeneinander platzierte. Für den schwulen Künstler repräsentierten sie „The perfect lovers“. Bei Monk erhält Brüderlichkeit eine gebrochene, homoerotische Note.

Brigitte Waldach, die sich praktischerweise schon seit vielen Jahren hauptsächlich der Farbe Rot in ihren Wandmalereien und Bildern bedient, dreht den Spieß um. Sie widmet ihre komplexe Installation den Schwestern Ensslin. Der Besucher betritt einen Raum, der palimpsestartig mit Briefpassagen von Gudrun Ensslin aus dem Gefängnis an ihre Schwester Christiane bedeckt ist. Dazu flüstert es aus in die Wand eingelassenen Mikrofonen, ertönen Klänge. Selten wurde politischer Wahn, persönliche Verletzlichkeit so poetisch inszeniert. Cornelia Renz setzt mit ihren drastischen farbigen Zeichnungen dem ein raues Lachen entgegen. Ihre Auseinandersetzung mit der Brüderlichkeit zeigt die Schattenseite der französischen Revolution, bei der gerade Frauen innerhalb kürzester Zeit wieder ausgeschlossen waren.

Die Gleichbehandlung aller Menschen erweist sich als Traum. Die junge Russin Alexandra Khlestkina – als Gegenfigur zu Richard Hamilton in der Ausstellung aufgebaut – vermag die gescheiterte Utopie mit ihrem Video „Wolodja“ nur noch zu ironisieren. Lenin, dessen Kosename Wolodja lautete, kommt als Heldenfigur ins Bild, unterlegt mit einem Lied, das gefühlvoll dem großen kommunistischen Führer huldigt. Aber auch diese Geschichte übersteht alles Rot.

Villa Kellermann, Potsdam, Mangerstr. 34-36, Do./Fr. 14–19, Sa./So. 12–19 Uhr. Eröffnung heute 15 Uhr.

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