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Szene Hamburg: Fotogalerien: Erdkunde in Schwarzweiß

Von Memphis bis Marokko: Hamburgs Fotogalerien reisen in ihren Ausstellungen einmal um die Welt.

Kaiserkai am Vasco-da-Gama-Platz: Die klangvolle Adresse in Hamburgs junger Hafencity weckt Erwartungen an Weite und Meer, denen die Galerie Capillaro vollendet gerecht wird: Passend zu den wie im Wind geblähten Scheiben der nahen Elbphilharmonie sind fotografische Panoramen von alten Großseglern, Kränen und Brücken in extremem Quer- und Hochformat zu sehen. Die verblüffende Bildästhetik lässt den Betrachter verschiedene Ansichten und gegensätzliche Fluchtpunkte auf einem einzigen Bild wahrnehmen. Sie haben Capillaro genau wie seine Städtebilder aus New York oder Paris schlagartig bekannt gemacht. Hinter dem Pseudonym steht der Fotograf Götz Härle, der für seinen Auftritt als Künstler seinen bürgerlichen Familiennamen italienisiert hat.

Härle stellt in seiner Galerie nur sich selbst aus. Seine künstlerische Handschrift hat er autodidaktisch mit einer einzigartigen Kameratechnik kreiert. Er nennt das Ganze „Vertikalographie“. Denn für seine analogen Aufnahmen klettert der 39-Jährige frei von Höhenangst mit Bergsteigergurten und schwerem Gerät an Schiffsmasten oder Türmen hoch und setzt die Bilder danach in monatelanger Arbeit digital zusammen. Der Betrachter soll auf seinen Fotos alles sehen – alles zugleich und auch verborgene Dinge. Die eigentlich schwarz-weißen, monochrom eingefärbten Formate kosten zwischen 500 und 10 000 Euro.

Der Künstler kam im Sommer vor vier Jahren als Pionier in die Hafencity. Damals gab es am Kaiserkai nur einen Kiosk und eine Sparkassenfiliale. Heute reihen sich Boutiquen, Bistros und Cafés aneinander, und Besucher aus aller Welt flanieren durch das Viertel. Capillaro öffnet seine Galerie allerdings nur von Samstag bis Montag oder auf Verabredung. Den Rest der Woche arbeitet der promovierte Mediziner als Facharzt für Anästhesie. Diese Tätigkeit sichert ihm die künstlerische Unabhängigkeit und seine nicht ganz billige Miete in der Hafencity.

Der Foto-Galeristin Flo Peters wurde ihre Hafencity-Repräsentanz bereits nach einem dreiviertel Jahr zu teuer: „Zu früh, die Kosten waren zu hoch,“ sagt sie. Vermutlich kommt ihre eingeschworene Klientel sowieso am liebsten in das schicke Ambiente des legendären Chilehauses am Pumpenkamp 8. Im Parterre des mächtigen Backsteinbaus zeigt Peters seit 2007 hochrangige Fotokunst. Die Herbstsaison eröffnet sie mit „Morocco“, der eindrucksvollen Serie des vor allem für seine Vogue-Titel bekannten schottischen Fotografen Albert Watson. Zu sehen sind 35 Schwarzweiß- und Farbfotografien, darunter Abzüge rarer Unikate, die für die Ausstellung als Editionen aufgelegt wurden. Die Schau findet zeitgleich zur Watson-Retrospektive im nahen Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen statt, wo bis Januar Klassiker, Vintage-Prints und als Herzstück 36 Großformate aus seinem jüngsten Projekt „Cotton made in Africa“ über die sich verändernde Lebenswelt von Baumvollfarmern in Benin präsentiert werden.

Flo Peters’ Ausstellung dauert nur bis Ende Oktober. Sechsmal im Jahr zeigt die rührige Galeristin Einzelpräsentationen. Es sind immer analoge, hochwertige Originale oder Originalabzüge und stets Bilder, die sie selbst berühren.

„Mit Vintage-Aufnahmen lässt sich viel Geld verdienen. Ich will lieber junge, neue Positionen ermöglichen,“ sagt Robert Morat, ehemaliger Journalist und studierter Kunsthistoriker, der 2004 ebenfalls im Hamburger Kontorhausviertel zwei Läden zur Galerie für zeitgenössische Fotografie umfunktionierte (Kleine Reichenstraße 1). Morat vertritt 20 Künstler, darunter Thomas Hoepker und Peter Granser. Er zeigt nur Bilder, die auf mehreren Ebenen lesbar sind; wie jetzt die Serie „Sound Affects“ des Amerikaners Christian Patterson, der 2005 Memphis in Tennessee als Wiege von Rock’n’Roll und Heimat des Blues porträtierte. Das in einem Kölner Verlag erschienene Buch dazu gibt es wie andere ausgewählte Fotobände und Zeitschriften in der Galerie zu kaufen.

Morat ist auf allen wichtigen Foto-Messen rund um den Globus präsent. Seit 2010 betreibt er in Berlin (Hamburgerstraße 2) eine Dependance. „Viele Sammler kommen nur nach London, Paris und Berlin. Es ist wichtig, dort vertreten zu sein,“ erklärt der 40-Jährige. Bis Dezember sind in seinem Berliner Schauraum karge österreichische Bauernhöfe des Becher-Schülers Bernhard Fuchs zu sehen. Davor hingen Peter Bialobrzeskis verstörende Bilder asiatischer Megacitys an den Wänden – alles verschlingende, glitzernde Hochhauswüsten neben Slumhütten aus Zivilisationsmüll. Eine Architekturfotografie, die beim Betrachter noch mehr Schwindel erzeugt als Capillaros New Yorker Wolkenkratzer-Equilibristik. Ulla Fölsing

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