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Wolfsburg-Fotografien: Unterwegs im Glücksmobil

Traum vom Kollektiv: Heinrich Heidersbergers Wolfsburg-Fotografien.

Ein überraschendes Bild. Kräne und gewaltige Fabrikbauten im Hintergrund. Aufsteigender Dampf signalisiert: Hier wird gearbeitet. Im Mittelgrund der Firmenparkplatz, Auto an Auto stets das gleiche Modell, der VW Käfer. Im Vordergrund junge, übermütig auskeilende Pferde auf saftigem Wiesengrund. Wolfsburg Anfang der sechziger Jahre.

Ob das halb industrielle, halb ländliche Idyll tatsächlich so überraschend gewesen ist wie der Fotograf Heinrich Heidersberger behauptet, bleibt eine rhetorische Frage. Publiziert wurde Heidersbergers Künstlerbuch „Wolfsburg. Bilder einer jungen Stadt“ auf Wunsch der Stadtväter zum 25. Geburtstag von Wolfsburg 1963. Im Jahr des 70. Stadtgeburtstags 2008 können nun im Kunstmuseum Wolfsburg sämtliche Fotovorlagen des Bandes im Original betrachtet werden: in der Ausstellung „Heinrich Heidersberger. Rückkehr zum Aufbruch“.

Gezeigt werden Heidersbergers aufbauselige Schwarz-Weiß-Fotografien der Jahre 1949 bis 1973. Zwar ist der Fotograf erst 2006 hundertjährig in Wolfsburg gestorben, doch die Eckdaten der Ausstellung sind klug gewählt. Mit der Gründung der Bundesrepublik wurde Hitlers Volksautowerk und die komplementäre „Stadt des KdF-Wagens“ gewissermaßen kollektiv entnazifiziert. 1973, im Jahr der Ölkrise und infolge des politischen Aufbruchs von 1968, endet nicht nur für Heidersberger eine Epoche. Wolfsburg, die Autostadt, die es ohne die Modernisierungswut der Nazis nie gegeben hätte, verliert rückwirkend ihre Unschuld.

Heute ist der Abstieg Wolfsburgs vom wirtschaftlichen Wunschkind der Nation zum lebensweltlichen Problemfall atmosphärisch für jeden spürbar. Wer den Kilometer vom Bahnhof durchs Stadtzentrum – das äußerlich nur wenig veränderte VW-Werk und das postindustrielle Verkaufsparadies „Autostadt“ im Rücken – bis zum Kunstmuseum zu Fuß zurücklegt, erlebt in der Ausstellung ein Déjà- vu. Ramschläden und Imbissbuden haben dem Lebensglück vom Architektenreißbrett, auf Heidersbergers Fotos dokumentiert, längst den Rang abgelaufen. Eine gebaute Utopie ist in die Jahre gekommen. Ist sie damit endgültig gescheitert?

Ein anderes Heidersberger-Bild: Wolfsburgs Hauptstraße, nach dem Ingenieur Ferdinand Porsche benannt, mit Blick aufs Schloss. Dort hatte der Autodidakt Heidersberger, der sich 1961 nach erfolgreichen Jahren in Braunschweig in Wolfsburg niederließ, sein Atelier. Im Schloss, der historischen Traditionsinsel von Wolfsburg, residiert heute das Institut Heidersberger, privater Hauptleihgeber der Ausstellung. Heidersberger fotografiert die Porschestraße – natürlich – als pulsierende Verkehrsader, Peitschenleuchten und die allgegenwärtigen Glücksmobile VW Käfer inklusive.

Noch ein Foto: Eine Kunstklasse der Volkshochschule sitzt malend im Atelier in dem vom finnischen Stararchitekten Alvar Aalto entworfenen Kulturhaus. Junge Frauen, adrett frisiert, die Jungs tragen Anzug, Krawatte und weißes Hemd. Wolfsburg war damals tatsächlich eine Stadt des Aufbruchs. Propaganda bleiben Heidersbergers Fotos dennoch. Das Foto könnte genauso gut in der DDR entstanden sein: Werktätige im Sonntagsstaat, den Klassenfeind fest im Blick, entspannen sich kulturell wertvoll.

Heidersbergers fotografisches Stadtporträt zeigt – unfreiwillig deutlich, aber auch großartig anrührend – den Traum vom Sozialismus in der noch nicht einmal volljährigen Bundesrepublik. Ob am Fließband, im Kulturhaus, im Schwimmbad oder beim Flanieren junger Ein- Kind-Familien durch die mit realistischer Bildhauerkunst geschmückten Wohnviertel der Stadt: Heidersberg wollte – und sollte – ein egalitäres Gemeinwesen in allgemeingültige Bilder bannen.

Wolfsburg als Musterstadt des sozialen Aufbruchs und Ausgleichs. Wir Nachgeborene bleiben unweigerlich auf der Frage sitzen: Hätten Skeptiker schon damals hinter die Kulissen der wirtschaftswunderlichen Kleinbürgerkommune mit all ihrem Gesinnungsterror blicken können? Wohl kaum. Zu gegenwärtig war das – unfreiwillig kollektivierend wirkende – Kriegs- und Schulderlebnis. Seine Negierung und das Glücks- und Aufstiegsversprechen für alle schienen ein plausibler Ausweg.

Glaubt man den übrigen der in der Ausstellung vorgestellten 170 Fotografien, war Heidersberger kein politisch denkender Künstler. Höchstens ein Ideologe der Form, zeitlebens beinahe pedantisch an Experimenten interessiert. In einer Serie von New York, 1954 von ihm als Bordfotograf einer Kreuzfahrt aufgenommen, gibt er sich ganz dem Spiel von Licht und Schatten in den Wolkenkratzerschluchten Manhattans hin. In den Architektur- und Produktfotografien, die in den 50er und 60er Jahren in Deutschland entstanden, widmet sich Heidersberger vorrangig strukturellen Fragen.

Den Schlusspunkt markieren ein paar Ansichten, die 1973 – zehn Jahre nach Erscheinen des jugendfrischen Jubelbandes – in Wolfsburg entstanden sind. Sie zeigen ein Schnellstraßenkreuz. Viel Beton, ein paar Autos. Keine Menschen, kaum Pathos. Triste Endzeitaufnahmen. Die Moderne hat ihre Fotomotive gefressen.

Kunstmuseum Wolfsburg, bis 21. September. Statt eines Katalogs: Reprint des Fotobandes „Wolfsburg. Bilder einer jungen Stadt“ (Nicolai Verlag) 24,90 Euro.

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