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Bachmann-Wettbewerb: Sachliches Lob, sachliche Verrisse

Am zweiten Tag des 35. Ingeborg-Bachmann-Lesens kann man fast ein bisschen erleichtert konstatieren: Der Wettbewerb nimmt an Fahrt auf, die Qualität der Texte steigt, erste potentielle Gewinner der fünf ausgelobten Preise sind auszumachen.

Vielleicht genehmigt sich deshalb der aktuelle Klagenfurter Stadtschreiber und letztjährige Bachmannpreisträger Peter Wawerzinek sein erstes Mittagsbier schon früher am Morgen, während der Lesung der Klagenfurter Autorin Maja Haderlap, die eine schön gemächliche, autobiografisch inspirierte und gut gebaute Geschichte aus dem kärtnerisch-slowenischen Grenzland erzählt, eine Geschichte über die Schrecken des Krieges, den Partisanenkampf  gegen die deutsch-österreichische Besatzung, mit dem Wald als Großmetapher, als Schutz- und Angstraum zugleich. Vielleicht schleicht wegen Maja Haderlap auch ihr einheimischer Kollege Josef Winkler wieder in den Nebenräumen des ORF-Theaters herum, wie üblich in einer schrecklichen roten Hose, dafür aber mit einem entspannten als wie üblich skeptischen Gesichtsausdruck. Und vielleicht spürt selbst der dieses Mal ausnahmsweise angereiste Bachmannpreis-Reporter (für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“?) Joachim Lottmann, dass hier was geht, auch wenn von Popliteratur keine Rede sein kann, auch wenn der Pop, den Klagenfurt zu bieten hat, schon länger nicht mehr der Pop ist, den Lottmann schätzt. (Den produziert er dann eben später selbst mit seinem Klagenfurt-Text.) 

Eine mögliche Bachmannpreisträgerin konnte man am Nachmittag erleben, die 1980 geborene Nina Bußmann. Ihre Lehrer-Schüler-Erzählung, die gleichzeitig eine Geschichte über Schuld, ein Mutter-Sohn-Verhältnis und die Ambivalenzen von Täter und Opfer ist, überzeugte die Jury fast durchweg, in seiner Konstruktion, seiner sprachlichen Ausarbeitung, seiner Wortwahl und seiner Bewusstheit von sich selbst und was er erzählen will. Auch der nachfolgende Steffen Popp, von Haus aus Lyriker, wusste einige begeisternde Stimmen auf seine Seite zu ziehen, mit seiner bewusst unfertigen Rekonstruktion der (Verfalls-)Geschichte eines Dorfes im Thüringer Wald. Ein dichter, rhythmisch sicherer, seine Virtuosität vielleicht eine Idee zu sehr ausstellender Text, der dann auch Juroren wie Hildegard Keller und Alain Claude Sulzer „ratlos“ hinterließ, ohne dass beide ihre Ratlosigkeit hinreichend begründen konnten. Paul Jandl gefiel schließlich, dass er ihn immer wieder lesen und betrachten musste und dabei immer wieder neue Motive fand, Daniela Strigl lobte den „neuen“, ungewöhnlichen Ton Popps. 

Bei den beiden letzten Diskussionen an diesem Freitag, insbesondere der über Bußmann, fiel allerdings auf, wie lang und breit die Juroren die Texte nacherzählten, wie sie oft über pure Inhaltsangaben zu Schlussfolgerungen kamen. Bei Popp war es schon hin und hergegangen, da fasste Meike Fessmann noch einmal Inhalt und Struktur des Textes zusammen, „um Ordnung in die Diskussion zu bringen.“ 

Nun ja, die Ordnung ist in der Jurydiskussion eigentlich seit dem ersten Tag da. Es herrscht eine irgendwie routinierte, etwas müde Atmosphäre unter den sieben Jury-Mitgliedern. Von Schärfe ist wenig zu spüren, von Hysterie schon gar nicht, aber auch nichts von überschwänglichem Lob. Sehr sachlich wird gelobt, sehr sachlich wird verrissen, sehr sachlich wird die Literatur verwaltet. Und sehr sachlich wird konstatiert, dass sich mit Linus Reichlin ein Autor ins afghanische Kriegsgebiet vorwagt. Denn das finden natürlich alle irgendwie gut (gibt es in der jüngeren deutschsprachigen Literatur ja kaum). Das finden aber einige auch eine höchst einfache Übung, weil Reichlin allein wegen der Wahl seines Sujets offene Türen einrennt und dann noch Kolportage-Elemente benutzt. Ja, dieser Schlingel. So ist das halt: War gestern ein Text literarisch zu überinstrumentiert, nämlich der von Geltinger, ist der von Reichlin wieder zu reportage- und kolportagehaft. Und wo er sehr fiktiv wird, geht es auch wieder nicht mit rechten Dingen zu: Ist schließlich Krieg, muss schließlich nahe an der Realität bleiben. Insofern ist der aktuelle Ingeborg-Bachmann-Lesen-Tabellenstand folgender: 1. Nina Bußmann. 2. Maja Haderlap. 3. Steffen Popp. 4. Gunter Geltinger und Linus Reichlin.

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