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Taner Akyol bedauert, dass die Bağlama im Westen unterschätzt wird.

© Sebastian Dudey

Bağlama: Sie gehört zur Familie

Die Bağlama ist das Instrument des Jahres. Heute wird die Laute mit einem Marathonkonzert gefeiert. Zu Besuch in der Musikschule des Virtuosen Taner Akyol.

Wenn man spätabends hungrig und mit schmalen Augen in eine neonbeleuchtete Neuköllner Dönerbude taumelt, um den Magen mit dem erstbesten Gebäck zu beruhigen, das dort hinter einer puristischen Deko aus Ayran-Bechern und roten Tomaten lagert, dann kann es sein, dass man jäh von einem poetischen Bild gefangen genommen wird: Ein paar Männer, die langstielige Saiteninstrumente mit spitzbauchigem Korpus in den Händen halten. Sie scheinen sich wie in Trance zu befinden.

Vielleicht wird sie verursacht von den erstaunlich sonoren Akkorden, die aus den hölzernen Schallkörpern dringen. Vielleicht kommt sie aber auch von den über dieser Begleitung kreisenden orientalischen Melodien, welche die Spieler mit flinkfingrig gezupften Arabesken verzieren. Man sollte sich nun ein Herz fassen und nach dem Namen des Instruments fragen. Doch die neugierigen Blicke des späten Gastes scheinen die Musikanten zu stören – und damit könnte der erste zaghafte Flirt mit der langhalsigen Schönheit auch schon beendet sein.

Muss er aber nicht. Denn in einigen wichtigen Institutionen des Berliner Musiklebens hat man sich den Namen der Bağlama, wie die türkische Laute heißt, schon längst gemerkt. Allen voran beim Landesmusikrat Berlin: Er hat die Bağlama zum „Instrument des Jahres 2013“ ernannt. Es ist nicht bloß eine freundliche Hommage an ein folkloristisches Instrument – sondern ist ein deutliches Signal dafür, dass die Bağlama als feste Größe in der Berliner Musikkultur wahrgenommen wird. Über 2000 Bağlama-Spieler zählt der Musikrat in Berlin – mehr Menschen, als hierzulande Fagott spielen. Dass die meisten von ihnen türkischer Abstammung sind, ist keine Überraschung. Das Instrument ist in der Türkei so fest verwurzelt wie in Spanien die Gitarre. Doch wie die Gitarre lässt sich ihre kulturelle Bedeutung nicht mehr auf ein Land oder auf bloße Folklore reduzieren. Ein Blick auf Youtube genügt: Elektronische Bağlamas wird man dort ebenso schnell entdecken wie Anleitungen, um mit nur vier Griffen auf der Bağlama einen Popsong zu begleiten.

Den Reichtum der Szene kann man allerdings live noch viel eindringlicher erfahren. Am 8. September findet darum vom 11 bis 21 Uhr im Kunstquartier Bethanien ein „Bağlama-Marathon“ statt: Neben Instrumentenbauern und Anbietern von Noten und CDs werden über hundert Bağlama-Spieler erwartet. Lehrer der unterschiedlichsten städtischen wie privaten Musikschulen und ihre Schüler werden ebenso auftreten wie internationale Stars des Instruments – unter ihnen Tolga Sağ, Sohn der Bağlama-Legende Arif Sağ.

Zu den namhaften Vertretern der Berliner Bağlama-Szene, die bei dem Fest auftreten, gehört der Komponist und Bağlama-Virtuose Taner Akyol. Der aus der Westtürkei stammende Akyol, der in Kreuzberg eine private Musikschule betreibt, ist sowohl in der arabischen wie klassischen westlichen Musiktradition zu Hause. Das hört man schon am Eingang zu Akyols Studio in der Kreuzberger Dieffenbachstraße: Während aus einem Proberaum klassische Opernarien hervordringen, sind eine Reihe von Jugendlichen und jungen Männern im anderen Raum damit beschäftigt, die silbrig klingenden drei Saitenchöre ihrer Bağlamas zu stimmen. Dann setzt sich Akyol ihnen gegenüber. Er strahlt eine natürliche Autorität aus: Seine Haltung ist aufrecht und präsent, doch seine Bewegungen führt er mit entspannter Leichtigkeit aus. Konzentriert folgen die Schüler, von denen einige selbst schon unterrichten, dem Meister auf ihren Instrumenten. Von draußen hört man einen Passanten spontan mitpfeifen.

Die intensive Beziehung zu dem Instrument, die Akyol schon durch seine Körpersprache vermittelt, kommt nicht von ungefähr, wie wir später erfahren. „Ich stamme aus einer alewitischen Familie“ sagt Akyol. „Bei den Alewiten ist die Bağlama sehr wichtig – es ist nicht einfach ein Instrument, sondern so etwas wie ein Familienmitglied!“ Und sie ist auch ein heiliges Instrument: Beim alewitischen Versammlungsritual, dem Cem, werde sie zur Begleitung von Tänzen und Gesängen eingesetzt, erklärt Akyol: „Wir beten mit Musik“.

Doch Akyol wollte es sich nicht in der Tradition bequem machen: „Mein Traum war es, ein klassischer Komponist zu werden und für die Bağlama ein Konzert zu schreiben.“ „Fast jeder Bağlama-Spieler“, so glaubt er, „teilt diesen Traum: das Instrument mit europäischer Musik zu verbinden, es weltbekannt zu machen.“

Akyol studierte Geige und Komposition und zog nach Berlin. Hier sind seine Ideen sehr gefragt: So schrieb er etwa letztes Jahr für die Komische Oper die Kinderoper „Ali Baba“, in der Orchesterinstrumente und Bazlama gemeinsam eingesetzt werden. Aber auch als Interpret sucht er nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten – so etwa in dem aus Bağlama, Klavier und Schlagzeug bestehenden Akyol-Trio, das dem Jazz nahesteht.

Wichtig ist es Akyol, seinen Schülern den ganzen kulturellen Hintergrund des Instruments zu vermitteln. Das sei wie bei Johann Sebastian Bach – da genüge es auch nicht, nur die Noten zu verstehen. Für seine Schüler liegt gerade darin eine Motivation: „Ich bekomme auch einen Zugang zu meiner eigenen Tradition“, meint Umut Erdoğan. „Man lernt Disziplin“, fügt Cem Kafkas hinzu. Und Deniz Basyigit findet: „Die Bağlama ist für mich wie ein Weg.“

Doch wie cool ist es heute, in Deutschland Bağlama zu lernen? Akyols Schüler lächeln: „Wenn man so mit acht Jahren anfängt“, geben sie zu, „dann gibt es schon einige, die sagen: eigentlich würde ich lieber Fußball spielen, aber meine Eltern haben mich hierhergeschickt“. Doch am Ende gehe es einem wie mit der Gitarre: „Wenn man ein paar Jahre später am Lagerfeuer spielt, dann wollen die anderen nämlich alle zuhören.“

Akyols Schüler reizt allerdings die Aussicht auf eine professionelle Karriere. Und wo ist der Ort, an dem sie am liebsten auftreten würden? „In der Philharmonie“, antwortet Umut Erdoğan wie aus der Pistole geschossen – und fast ein bisschen vorwurfsvoll.

Dass man Bağlama nur bei Hochzeiten oder im privaten Kreis spiele, sei ohnehin nur noch ein Klischee, stellt auch Gökhan Sarpkaya klar. Doch hochbegabte Spieler haben es auf der Bağlama schwer: An musikbetonten Gymnasien werde das Instrument zum Beispiel nicht gelehrt, klagt Akyol. Und wer an einer Musikhochschule studieren möchte, der müsse entweder in die Türkei ziehen – oder nach Rotterdam, wo die Bazlama bereits als reguläres Instrument unterrichtet wird. An der Universität der Künste findet am 14. und 15. September aber immerhin schon mal das erste Bağlama-Symposium in Deutschland statt. Und es muss ja nicht bei diesem Flirt bleiben.

„Tag der Bağlama“ im Kunstquartier Bethanien, Mariannenplatz 2, Sonntag, 8. September, 11–21 Uhr; „Vom Bosporus nach Berlin mit der Bağlama, Kammermusiksaal der Philharmonie, Donnerstag, 19. September, 20 Uhr.

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