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Kultur: Bei Haydn kann sich keiner verstecken

KLASSIK

Konnte das gut gehen: zehn Stunden Werke eines Komponisten, die oft als Einspielstücke zu gewichtigeren Klassikern dienen – am zweiten Frühlingssonntag? Es ging gut: Der Andrang zum „Haydn-Marathon“ überstieg die Erwartungen. Offenbar greift auch beim passiven Hörer jener Mechanismus, den Kammermusikamateure kennen: Man platziert sich nach dem Kaffee vor Band I der Quartettausgabe und spielt sich in Trance, bis der Nachbar um zehn an die Decke pocht. Haydn, als kühler Konstrukteur bewundert wie verschrien, fordert und fördert das hörende Mitmusizieren: ein Mit-Denken in Tönen, das den Geist noch nach Stunden erfrischt. Angekündigt vom launig causierenden Moderator Karl Dietrich Gräwe, trotzten die vielfältigen Kammermusikformationen der Philharmoniker im Kammermusiksaal dem Stress, den jede Haydn-Darbietung bei guten Musikern erweckt. Bei ihm gibt es kein Verstecken: weder in der Intonation noch im Ausdruck; wer sich an seine simpelsten Trios wagt, stellt nichts weniger aus als die pure Substanz seiner Musikalität. Gälte es, Lorbeeren zu verteilen, gingen sie an das Breuninger-Quartett, das Haydns lyrische, epische, dramatische Qualitäten zu steigern wusste, oder an den Oboisten Albrecht Mayer, den selbst konventionelle Passagen nie zu nachlässiger emotionaler Durchdringung verführten, oder an die Pianistin Cordelia Höfer, die jeden Ton des Trios Hob. XV:16 spielte, als sei er vom Zwerchfell einer Koloratursängerin gestützt. Hauptgewinner: die Philharmoniker. Nichts hilft besser gegen das Ausruhen auf Lorbeeren der Hochprofessionalität, als sich der Klarheit des scheinbar harmlosesten Klassikers zu stellen.

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