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Die Frauen lieben ihn. Schlagerstar Richie Bravo (Michael Thomas) in Aktion.

© Ulrich Seidl Filmproduktion

Berlinale 2022 mit "Rimini" im Wettbewerb: Ich spür, dass du es spürst

Für immer Nachsaison: Der Österreicher Ulrich Seidl erzählt im Drama "Rimini" ein Schlagersängerleben als Etüde der Einsamkeit.

Souverän ist er, der Ulrich Seidl. Der Mann, der die österreichischen Kellerräume der Seele in seinen Spiel- und Dokumentarfilmen so unbarmherzig auslotet wie kein Zweiter, hat im November 2017 eine ganze Filmcrew samt Schauspielern und Komparserie am Strand von Rimini versammelt, um eine Einsamkeitsetüde zu drehen, die im Nebel spielen soll.

Nur spielt das Klima nicht mit. Jeden Tag praller Sonnenschein. Computerwetter ist für Seidl keine Option. Bei ihm muss die Tristesse echt sein. Also hat er alle weggeschickt und Monate gewartet, bis dann 2018 endlich der filmentscheidende Nebel kam.

Scheißwetter, nicht anderes

Statt aber nun die Trübnis gebührend zu inszenieren und zur filmischen Metapher auszubauen, birgt der Nebel, durch den Richie Bravo am winterlichen Strand ein ums andere Mal in seinem Robbenfellmantel tapert, kein Geheimnis, keine Bedrohung. Er ist nur Scheißwetter, nichts sonst.

Das Scheißwetter, das für einen Sonnenkönig wie Richie Bravo nicht existieren darf. Rimini, seit den fünfziger Jahren Badeparadies nicht nur für Italiener, sondern auch für Deutsche und Österreicher, ist ein Glücksversprechen: Sonne, Meer, Liebe, Urlaub!

Rimini kann sehr kalt sein. Richie Bravo (Michael Thomas) wappnet sich mit Robbenfell.
Rimini kann sehr kalt sein. Richie Bravo (Michael Thomas) wappnet sich mit Robbenfell.

© Ulrich Seidl Filmproduktion

Genauso wie die Schlagermusik, die Liebessehnsucht und Liebesleid zu einer Kitschbombe großer Gefühle aufbläht und die Menschen erfolgreich von der Banalität ihres Alltags ablenkt. Ulrich Seidl, der zuletzt 2016 in dem krassen Dokumentarfilm „Safari“ Jagdtouristen in Afrika auf den Zahn fühlte, erzählt in „Rimini“ ätzend, aber auch zärtlich von der traurigen Nachsaison des Lebens.

[12. 2., 18 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 13. 2., 15 Uhr (Cubix 9), 18. 2., 18 Uhr (Berlinale-Palast)]

Richie Bravos Ruhm ist verblasst. Außer einem Haus und den glänzenden Anzügen ist ihm nur der Wohlstandsbauch geblieben, den er bei Auftritten in eine Miederhose zwingt. Das hält den blondierten Pegeltrinker aber nicht davon ab, jede welke Verehrerin mit sagenhaftem Sängerschmäh zu umgarnen. Inklusive sexueller Dienstleistungen, für die er sich von den Frauen bezahlen lässt.

Richie Bravo hat Grandezza

Seidl hat die Rolle Michael Thomas, der in seinem Drama „Import Export“ (2007) beängstigend gut einen brutalen Freier spielte, auf den Leib geschrieben. Den Richie Bravo verkörpert Thomas mit fantastischer Grandezza, tränenfeuchter Sentimentalität und manipulativer Bosheit. Ein Egomane der großen und groben Gesten, der seine soziale Verkrüppelung unablässig schönredet und schönsingt. In Amore-mio- Schwulst und in Ich-und-du- und Ichspür-dass-du-es-spürst-Phrasen.

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Nur Tessa (Tessa Göttlicher), Bravos jahrelang ignorierte Tochter, geht ihm nicht auf dem Leim. Sie stellt den Vater und fordert den in 18 Lebensjahren nie gezahlten Unterhalt ein. Mehr Gegenwind braucht es nicht, damit aus dem säbelbeinigen Trumm von Mann ein um Liebe bettelnder Wicht wird.

Eine Verwandlung, die mit dem Zustand von Richies Vater korrespondiert, der sich in einem österreichischen Altersheim in der Demenz verliert. Hans-Michael Rehberg zeigt in seiner letzten Rolle, was aus Patriarchen wird, die SA-Lieder schmettern und den rechten Arm hochreißen: Jammergestalten, die nach der Mama schreien, wenn sie Schuberts „Winterreise“ hören. „Rimini“ könnte irrer Trash sein, ist aber echt Seidl und unterhaltsam dabei.

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