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Der Tod (Bernhard Goetzke) führt die Frau (Lil Dagover) zu ihrem verstorbenen Bräutigam.

© Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden

Berlinale Classics: Triumph über die Sterblichkeit

Beinahe original: Berlinale Classics zeigt eine restaurierte Fassung von Fritz Langs Stummfilmklassiker „Der müde Tod“.

Der kleine Fritz ist sehr krank. Halluzinierend liegt er im Bett, „glitt fort und fort mit immer leiserem Atem“, schläft ein, träumt. „Da sah ich mir gegenüber, nicht nahe, nicht schrecklich, aber unverkennbar – den Tod. Aus Schwarz und Weiß, aus Licht und Schatten gebildet die Rippen, das kahle Gebein. Darüber den Kopf, kaum kenntlich, vom großen Hut überschattet. Und ich und der Tod, wir sahen uns an.“

Eine frühe Erfahrung von Todesnähe oder gut erfundene Selbstinszenierung? Fritz Lang spricht darüber 1927, sechs Jahre nach der Berliner Uraufführung seines Films „Der müde Tod“, der längst ein internationaler Riesenerfolg ist. Reklame durch den Hinweis auf eine frühkindliche Erfahrung als Urkeim der Filmidee hat er nicht mehr nötig. Vielmehr ist es eine Erfahrung, die fürs Leben prägt: „Der Stoff hat mich interessiert, wie mich der Tod selbst immer interessiert hat“, beschreibt es Lang vier Jahrzehnte später.

Der Tod ist in den Jahren vor Entstehung des Films noch immer allgegenwärtig, sein Überdruss an der eigenen unentwegten Arbeit verständlich. Erst das millionenfache Sterben im Ersten Weltkrieg, dann die um die Welt rasende Spanische Grippe, schließlich, nun auf privater Ebene, das Ehedrama Langs, dessen erste Ehefrau Elisabeth am 25. September 1920 in der gemeinsamen Wohnung in der Tharandter Straße 1 in Wilmersdorf durch einen Schuss aus Langs Browning zu Tode kommt.

Eine Version, die dem Original von 1921 möglichst nahekommt

Die Ehe und ihr tragisches Ende sind von dem Regisseur stets verheimlicht worden, erst im Zusammenhang mit der Fritz-Lang-Retrospektive zur Berlinale 2001 gelang es den Filmhistorikern Wolfgang Jacobsen und Rolf Aurich, Licht in das Dunkel zu bringen. Wahrscheinlich ist es ein Unglücksfall, löst sich ein Schuss beim Handgemenge zwischen Lang und seiner Frau – äußerste Zuspitzung eines Ehestreits wegen der Untreue des Regisseurs, der mit seiner Drehbuchautorin und späteren Ehefrau Thea von Harbou eine Affäre begonnen hat. Möglicherweise erwischte Elisabeth beide in flagranti und die Situation eskaliert, bis zum tödlichen Ende.

Wie auch immer der verhängnisvolle Abend abgelaufen sein mag – er gehört zum biografischen Hintergrund von Langs Meisterwerk „Der müde Tod“, den die Filmfestspiele nicht zum ersten Mal im Programm haben, doch erstmals in einer Version, die dem Original von 1921 möglichst nahekommt. Zwar sind nicht wie bei „Metropolis“ weite Teile des Films verloren gegangen, aber man konnte ihn nur noch als Schwarz-Weiß-Film zeigen, was er ursprünglich nicht war. „Der müde Tod“ kommt 1921 eingefärbt heraus, teils „viragiert“, also mit eingefärbtem Filmträger, teils „getont“, mit eingefärbter fotografischer Emulsion. Die vielen Nachtszenen beispielsweise wurden bei Tageslicht gedreht und erst hinterher durch blaue Einfärbung auf Nacht getrimmt. Bei späteren Kopien wurde aus Kostengründen darauf verzichtet, und nur solche Versionen konnte man nach Verlust der Originale noch zeigen.

Nun aber liegt wieder eine Farbversion vor, dank der digitalen Restaurierung durch die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, mit dem Bertelsmann-Konzern als Hauptsponsor, der sich schon wiederholt für die Erhaltung des deutschen Filmerbes engagiert hat. Da keine zeitgenössische Kopie mehr existierte, musste Restauratorin Anke Wilkening sich an zur selben Zeit entstandenen Filmen der Berliner Produktionsfirma Decla-Bioscop orientieren, mit der Lang gearbeitet hatte. Deren Einfärbungen gaben Hinweise, wie „Der müde Tod“ einmal ausgesehen haben mag – ein Wahrscheinlichkeitsverfahren, doch mit überzeugendem Ergebnis. Auch konnten bei der Restaurierung viele Details, die besonders in den hellen und dunklen Bildpartien verloren gegangen waren, wieder rekonstruiert werden.

Eine junge Frau will ihren Geliebten zurück

Die jetzt erstellte Version basiert vor allem auf einem Schwarz-Weiß-Negativ, das das Museum of Modern Art 1936 beim Reichsfilmarchiv in Berlin gekauft und später umkopiert hatte – eine lobenswerte Vorsichtsmaßnahme, hat sich doch die erworbene Filmrolle längst zersetzt. Weitere Kopien wurden aus internationalen Filmarchiven herangezogen, dabei auch die lückenhaften, fürs Verständnis des Films und seiner Struktur wichtigen Zwischentitel ergänzt. Fehlte nur noch die Filmmusik. Eine historische ist nicht überliefert, so wurde von dem Freiburger Komponisten Cornelius Schwehr im Auftrag von ZDF/Arte eine neue geschaffen, die bei der Berlinale-Uraufführung im Friedrichstadt-Palast vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung des Filmmusikexperten Frank Strobel gespielt wird.

„Der müde Tod – Ein deutsches Volkslied in sechs Versen“ – so hat Lang den Film, der für ihn den Durchbruch bedeutete, betitelt. Schon die einleitenden Zeilen geben sich altertümelnd-romantisch: „Es liegt ein Städtchen irgendwo / im Tale traumversunken. / Drein zogen liebestrunken / zwei Menschen, jung und lebensfroh.“ Das Glück hat nicht lange Bestand. Der Tod (Bernhard Goetzke) tritt heran, entführt den jungen Mann (Walter Janssen) in sein dunkles Reich, wohin die Frau (Lil Dagover) ihm folgt, um den Geliebten zurückzufordern. Der Tod erweist sich als durchaus menschlicher Gesell, müde seiner monotonen Arbeit und kompromissbereit: Eine von drei nur noch flackernden Lebenslichtern müsse sie vor dem Erlöschen bewahren, dann werde er sie erhören. Und so wechselt die Szenerie ins Exotisch-Märchenhafte, muss die junge Frau sich in einer orientalischen Stadt, im alten Venedig und am Hofe des chinesischen Kaisers beweisen, um den Geliebten zu retten – vergeblich. Auch in dem düster-romantischen Städtchen findet sie selbst unter den Ärmsten der Armen keinen, der sich freiwillig – der Tod zeigt sich noch immer gnädig – austauschen ließe. Zuletzt aber ist sie mit ihrem Geliebten vereint: Sie rettet ein Baby aus einem brennenden Haus und geht selbst in den Tod.

Ein geniales Spiel mit Licht und Schatten

Nach der Uraufführung am 7. Oktober 1921 im U. T. am Kurfürstendamm (später Filmbühne Wien, heute Apple-Store) und im Mozartsaal am Nollendorfplatz (heute Goya) ist dem Film in Deutschland anfangs nur mäßiger Erfolg beschieden, was sich erst nach der begeisterten Aufnahme im Ausland änderte. Louis Buñuel erklärt sogar, nach „Der müde Tod“ habe er „mit absoluter Gewissheit“ gewusst, dass er selbst Filme drehen wollte. Und Douglas Fairbanks erwirbt für die USA die Rechte, zeigt den Film aber nicht, sondern kopiert Langs sensationelle Trickaufnahmen, so den fliegenden Teppich in seinem Film „Der Dieb von Bagdad“.

Andere rühmen die atmosphärische Dichte des Films, das geniale Spiel mit Licht und Schatten: „Das Laboratorium des kleinen Apothekers vom ,Müden Tod‘, ein dämmeriger Raum mit verschlossenen Fensterläden, ist von einem seltsamen Gleißen erfüllt, Phosphorglanz geht von den Flaschen, den Geräten, dem ausgestopften Getier, dem Skelett aus; es ist E.T.A. Hoffmanns satanische Welt, die sich hier aufzutun scheint“, schwärmt die Filmhistorikerin Lotte Eisner über den schließlich auch in Deutschland als Meisterwerk erkannten Film, der seine erste Berlinale-Aufführung 1954 erlebt. Sie steht unter keinem guten Stern. Zwar ist das Delphi in der Kantstraße rappelvoll, auch Thea von Harbou und Lil Dagover sind gekommen. Beim Verlassen des Kinos aber stürzt Thea von Harbou so schwer, dass sie einige Tage später stirbt.

12.2., 17 Uhr, Friedrichstadt-Palast (mit Live-Musik); 18.2., 14 Uhr, Cinemaxx 8 (mit aufgezeichneter Musik)

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