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Jochen Distelmeyer

© imago

Berliner Nachtleben: Gute alte Ich-Maschine

Immer wieder Klassentreffen: Wie Jochen Distelmeyer die Vergangenheit heraufbeschwört - und sich als ganz spezieller Typ erweist.

Neulich stand Jochen Distelmeyer wieder mal auf einer Bühne dieser Stadt, im Bi Nuu am Schlesischen Tor, nicht als Schriftsteller, der er ja mit dem Roman „Otis“ auch irgendwie geworden ist, sondern als (fast) lupenreiner Musiker. Distelmeyer stellte sein Coverversionen-Album „Songs From The Bottom Vol. 1“ vor, das die Popwelt bislang nicht übermäßig bewegt hat.

Das Bi Nuu war trotzdem fast voll, mit 500 Leuten, so die Veranstalter, darunter sicher sehr, sehr viele Menschen, die Distelmeyer vor allem von früher kennen, von seiner Zeit als Blumfeld-Mastermind; Menschen, die seinerzeit „Ich-Maschine“ oder ein paar Jahre später „Old Nobody“ rauf und runter gehört haben und damit bestimmte Erinnerungen verbinden. Tatsächlich hat dieses Konzert was von einem Klassentreffen, sagen wir: der Class of 95. Ich treffe meine Cousine S., die ich seit Jahren nicht gesehen habe. Sie sagt, sie sei fest davon überzeugt gewesen, mich oder meinen Bruder hier zu sehen (Warum bloß?).

Noch länger nicht gesehen habe ich E., mit der ich (oder war es mein Bruder?) mal bei einem Konzert der US-Band And You Will Know Us By The Trail Of Dead in der Kulturbrauerei war. Und dann steht plötzlich der gute Hecki vor mir: Hecki hat früher backstage für die Bands im Huxleys gekocht, ist dann in die Altenpflege gegangen und spielt jetzt in einer Black-Metal-Band, aber nur „just for fun“, wie er sagt, „zum Ausgleich“.

Ja, und schließlich ist da noch A., die ich allerdings häufig sehe, durchaus gern, aber auch zu meinem Leidwesen: Sie ist meine Zahnärztin. A. kommt zu spät an diesem Abend und hat einen BackstagePass, denn sie kennt (und behandelt) Gott und die alte und manchmal neue Berliner Popwelt von Oskar Roehler über Blixa Bargeld bis hin zu Mario Mentrup, aber auch die Hamburger Popwelt.

Mit Distelmeyer habe sie neulich erst eine schöne Zugfahrt verbracht. Klar, sagt sie, der Mann sei speziell, aber sehr nett und unterhaltsam. A. ist wieder in Topform. Sie erzählt, wie es vor ein paar Wochen bei Television gewesen ist („ich war die einzige Frau“) und dass der Bassist der Band gerade geheiratet habe, eine Mittzwanzigerin, „die genauso aussieht wie ich damals. Der ist bei seinem Frauentyp geblieben“. Überflüssig zu erwähnen, dass der Bassist sich seinerzeit in A. verguckt hatte. Und sie erzählt, da wir gerade bei den bestimmten, von den jeweiligen Geschlechtern bevorzugten Typen sind, dass Rocko Schamoni aus ihr, die seit ewigen Zeiten blond ist, in einem seiner Romane eine dunkelhaarige Frau gemacht habe. Auch hier überflüssig zu erwähnen: A. und Rocko Schmanoni waren irgendwann mal ein Paar.

Nach dem Konzert treffe ich A. im Mysliwska wieder, und wer sitzt neben ihr: Jochen Distelmeyer. Freundlich reicht er mir die Hand: „Wir kennen uns irgendwoher“, sagt er. „Ja, ich habe dich mal interviewt, in einem Hotel in der Prenzlauer Promenade, zu Blumfeld- und ,Testament der Angst‘-Zeiten.“

Distelmeyer erinnert sich nicht. Blumfeld scheint sehr, sehr weit weg. Erst als er meinen Nachnamen erfährt, fällt ihm was ein: „Du hast mal über Hermann Burger einen Text geschrieben, in einem Band über ungeschriebene Werke. Mein Lektor Martin Mittelmeier hat den damals herausgebracht und mir gezeigt.“

Hm, hm, das stimmt – doch frage ich mich in diesem Moment auch, wie viel Texte ich eigentlich über Blumfeld und den Musiker wie „Otis“-Autor Distelmeyer geschrieben habe. Ziemlich viele. Ist wirklich ein spezieller Typ, dieser Jochen Distelmeyer.

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