zum Hauptinhalt
Quadratschädel. Bertrand Freiesleben modelliert den Kopf von Sven Marquardt. Im Berghain, wo der Fotograf als Türsteher arbeitet.

© Elena Panouli

Bertrand Freiesleben: Die Häupter meiner Lieben

Der Berliner Bildhauer Bertrand Freiesleben modelliert Köpfe von Politikern und Künstlern. Jetzt ist ein Bildband von ihm erschienen. Ein Atelierbesuch.

Den Kopf nach hinten geworfen, das Kinn erhoben, die Mundwinkel nach unten gezogen, der prüfende Blick. Unerhört lebendig und ganz skeptischer, kühler Hanseat, wie der Gipskopf des Politikers Klaus von Dohnanyi da so im Holzregal liegt. Ja, den Gesichtsausdruck könnte man als Arroganz lesen, gibt dessen Schöpfer Bertrand Freiesleben zu. Er selbst tut es nicht. „Dohnanyi ist überhaupt nicht überheblich, kein Stück.“

Wenn er es sagt. Immerhin hat der Bildhauer beim Modellieren der Büste viele Stunden mit dem sozialdemokratischen Grandseigneur verbracht. Intime Stunden. Sprechend, schweigend, atmend. So nah wie fern. Den Kopf eines Menschen abmodellieren ist eine heikle Sache. Eine wahrhaftige, nicht idealisierte Porträtplastik wie diese ist nicht nur das Ergebnis von künstlerischem Können, sondern auch von Empathie und Kommunikation.

„Die Begegnung, den Moment des Zusammenkommens“, nennt der Porträtist das und erzählt, wie der einstige Bildungsminister und Erste Bürgermeister der Stadt Hamburg ihm kleine Fotos seines Vaters Hans von Dohnanyi aus dem Portemonnaie nestelte. Weil er dem sonst nur mit Lebenden arbeitenden und am unzulänglichen Bildmaterial schier verzweifelnden Bildhauer helfen wollte, Gesicht und Ausdruck des 1945 von den Nazis ermordeten Juristen und Widerstandskämpfers gut zu treffen. „Das hat mich gerührt“, sagt Bertrand Freiesleben und setzt nach kurzem Innehalten nach: „Ich kann fast jedem Menschen etwas abgewinnen.“

Eine Schrunde, einen Kratzer, eine Augenhöhle, einen Wangenknochen oder gar sein ganzes Wesen, den Charakter. Seine Büsten sind Gesichtslandschaften der Seele, von weich bis schroff. Dass es Bertrand Freiesleben darunter nicht macht, ist an dem mit Büsten vollgestopften Regal in seinem Hinterhofatelier in Prenzlauer Berg abzulesen. Und an dem Bildband „Köpfe“, in dem er jetzt eine Auswahl seiner Porträtplastiken zeigt. Darunter die etlicher Bundespräsidenten von Walter Scheel bis Horst Köhler, des Schauspielers Rolf Hoppe oder Johannes Heesters’, die des Soziologen Ralf Dahrendorf, der Autoren Walter Kempowski und Wolfgang Menge oder von Schachgroßmeistern wie Viktor Kortschnoi.

Alles Leute, die dem 1967 in Lübeck geborenen Bildhauer in den letzten 20 Jahren Modell gesessen haben. Alles Leute, denen er weit mehr als nur ihre Bekanntheit abgewonnen hat, obwohl er nicht zusammenzuckt, wenn man ihn Promiporträtisten nennt. Zeitgeschichte etwa, wie bei seiner Politikerserie oder Kulturgeschichte, wie bei den Künstlerköpfen. Jeder von ihnen erzählt eine Geschichte, auch die seiner teils im Buch nachzulesenden Entstehung. Freiesleben, ein aufgeräumter Familienvater, der in kurzen Hosen selbstgeschnitzte Modellierhölzer zeigt und erklärt, wie aus einer Wanne mit alter Matschepampe wieder neuer Modellierton wird, sieht sich durchaus als Chronist. Und baut im Buch wie im Gespräch trotzig auf die Zukunft seines eigentlich heillos anachronistischen Fachs.

Dass es um den Platz der jahrtausendealten Porträtskulptur in der Gegenwartskunst nicht sonderlich gut bestellt ist, lässt sich schon im Vorwort von „Köpfe“ nachlesen. Kein Gebiet scheine verminter als das des plastischen Porträts, „dem das 19. Jahrhundert höchsten Glanz und schließlich auch den Rest gegeben hat“, schreibt Philipp Demandt, der Leiter der Alten Nationalgalerie. Und Bertrand Freiesleben bringt es ein paar Seiten vorher auf die Formel „industriell verramscht, akademisch verflacht, politisch missbraucht“. Trotzdem ist er von der ungebrochenen Kraft der Abbildung des Antlitzes überzeugt. „Damit kann ich viel besser zeigen, was ich am Leben schätze, als etwa mit Konzeptkunst.“

Die hat der studierte Bildhauer, Kunstgeschichtler und Philosoph Anfang der Neunziger in New York selbst erfolgreich betrieben. Bis sich ein Gefühl der Ermüdung über die oberflächlichen Aha-Effekte abstrakter Installationen einstellte. „Das schwebte alles so über dem Leben.“ Die Porträtplastik dagegen brauche keine Werkeinführung. Die berühre unmittelbar. „Jeder kann mir sofort ins Gesicht sagen, ob sie gelungen ist oder nicht.“

„Den Marquardt sollte man in Eisen gießen“, findet Bertrand Freiesleben

Quadratschädel. Bertrand Freiesleben modelliert den Kopf von Sven Marquardt. Im Berghain, wo der Fotograf als Türsteher arbeitet.

© Elena Panouli

Und seine theoretischen Überlegungen über Formgebung, die er im Buch in einem Kapitel über seine Vorbilder aus der italienischen und deutschen Renaissance, Michelangelo und Conrat Meit, darlegt, sollen gar ein Forschungsprojekt am Fraunhofer-Institut werden. Freiesleben denkt beim Anblick und Aufbau eines Gesichts nicht in Details wie Nase oder Ohren, sondern in Hügeln, Schalen, Sätteln – also in abstrakten Formen. Die will er mit Gehalt, mit Substanz füllen. „Wir haben am Ende nur die Form“, sagt er. „Was nicht geformt ist, ist nicht da. Und was da ist, sagt auch etwas.“

Über die todesnahe Hinfälligkeit eines schlafenden 106-Jährigen namens Johannes Heesters, die Ernsthaftigkeit eines Hans-Jochen Vogel oder die Coolness des Fotografen und Berghain-Türstehers Sven Marquardt. Dessen mäjestätisches Kopf-Brust-Trumm steht auf einem Ateliertisch, sieht schroff aus und fühlt sich warm an. So eine Wachsbüste ist die Vorstufe zur kalten Bronze, die den meisten Porträtierten dann doch lieber ist als Gips. „Den Marquardt sollte man in Eisen gießen“, murmelt Freiesleben. Stimmt. „Todschick wäre auch Porzellan.“ Nicht doch – zu weiß, glatt, zu filigran. Freieslesben bleibt dabei, er hat die Materialwirkung schon im Kopf. Nur zahlen müsste jemand dafür. Wie viel genau, verrät er nicht. Aber das Kopfgeld für seine Arbeiten dürfte fünfstellig sein.

Bis zu sechs Sitzungsstunden reichen bei Männern für einen Kopf, sagt er. Bei Mädchen oder Frauen braucht er viel, viel länger. „Da ist es sehr kompliziert, Nuancen hinzubekommen und nicht nur weiche Formen.“ Trotzdem will er Angela Merkel nach dem Ende ihrer Amtszeit anfragen. Dass sie sich – wie einige der Bundespräsidenten – selber bei ihm meldet, ist unwahrscheinlich. Im Gegensatz zu den im Bundespräsidialamt aufgestellten Skulpturen der Staatsoberhäupter werden die deutschen Regierungschefs für die Kanzlergalerie gemalt.

Ob Freiesleben auch kuriose Aufträge bekommt? Allerdings, sagt er und erzählt von einem Herrn, der säckeweise die Aufreißer von Aluminumdosen gesammt hat und daraus eine Büste anfertigen lassen möchte. So was macht der Künstler nicht, er versteht sich nicht als Dienstleister. „Mir geht es darum, den Menschen gerecht zu werden.“ Und wenn es dann noch besonders interessante Exemplare sind, die ihren Kopf hinhalten, umso besser. Nicht aus jeder Modellsitzung geht übrigens ein fertiger, ein guter Kopf hervor. Manchmal fügt es sich – wie bei Hildegard Hamm-Brücher nach ein, zwei Treffen dann doch nicht. Mit dem als Schauspieler und Theaterchef viel beschäftigten Dieter Hallervorden hat es zwar 2011 hingehauen, doch für alle Zeiten in Bronze verewigt ist er bis heute trotzdem nicht. Der Tonkopf ist verschollen. Autodiebe haben ihn zusammen mit dem VW-Bus des Bildhauers geklaut. Entsetzlich peinlich sei ihm das gewesen, erzählt Bertrand Freiesleben. Was Hallervorden dazu gesagt hat? Freiesleben lacht. „Hätten die Diebe Stil gehabt, hätten sie nur meinen Kopf mitgenommen.“

Bertrand Freiesleben: Köpfe, Nicolai Verlag, 360 S., 500 Abb., 39,95 €

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false