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Sozialer Aufstieg. Mrs. Barbour (Nicole Kidman) kümmert sich um den traumatisierten Jungen  Theo (Oakes Fegley).

© Warner

Bestseller-Adaption mit Nicole Kidman: Warum „Der Distelfink“ als Verfilmung scheitert

Donna Tartts „Der Distelfink“ ist eine komplexe Geschichte über Kunst, Liebe und Moral. Die Verfilmung aber kann selbst Nicole Kidman nicht retten.

Ein paar Gesichter bleiben aus John Crowleys zweieinhalbstündiger „Distelfink“-Verfilmung. Oakes Fegley, ein fast noch kindlicher Schauspieler, der mit großen Augen hinter dicken Brillengläsern so träumerisch wie traumatisiert, so verschreckt wie doch neugierig einen Jungen verkörpert, der mit einem Feuerschlag seine Mutter verloren hat.

Richtig lebendig wird er selbst erst wieder, als ihn ein sonderbar aufgekratzter Mitschüler zu ersten Ladendiebstählen und Drogen verführt. Der ukrainisch-amerikanische Junge bleibt auch nach einem Zeitsprung sein Freund: mit slawischem Akzent, schwarzen Locken und einem umwerfend hellen Lächeln ein junger Gangster voll hintergründigem Charme. In zwei Lebensaltern gespielt von Finn Wolfhard und Aneurin Barnard.

Das Großartige an Donna Tartts mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Roman „Der Distelfink“ ist schon der Grundeinfall. Die amerikanische Autorin lässt zum Ende des 20. Jahrhunderts einen Teil des New Yorker Metropolitan Museums bei einem Anschlag in die Luft fliegen.

Doch diese explosive Exposition, die sofort an einen Reflex auf 9/11 denken lässt, dient keinem erzählerischen Sensationalismus. Vielmehr entwickelt sich aus der großen Katastrophe eine streckenweise fast intime Geschichte von kindlich-jugendlichem Schmerz, Verwirrung, Erwachsenwerden ohne tiefere Reife, von Love and Crime und der Widerspiegelung des Erzählten in einem kleinen großen Werk der Kunstgeschichte.

Ein Fremder vermacht Leo einen Ring

„Der Distelfink“ heißt ein Gemälde, das Carel Fabritius, ein Schüler Rembrandts und der Lehrer Vermeers 1654 in Delft gemalt hat – wo der Künstler noch im selben Jahr, das ist eine von Donna Tartts intrikaten motivischen Verbindungen, bei der Explosion einer Schießpulverfabrik ums Leben kam. Im Roman und seiner Verfilmung verliert der 13-jährige Theo Decker beim Anschlag seine Mutter, nur wenige Minuten, nachdem die beiden vor dem Bild standen.

Tragisches Schicksal. Oakes Fegley als junger Theo Decker.
Tragisches Schicksal. Oakes Fegley als junger Theo Decker.

© dpa/Warner Bros.

Während Theo überlebt und seine Mutter in Rauch und Trümmern nie wiedersieht, vermacht ihm ein alter Mann, der dem Jungen als Ausstellungsbesucher kurz zuvor wegen eines hübschen rothaarigen Mädchens an seiner Seite aufgefallen war, im Sterben noch einen Ring. Theo soll ihn an eine bestimmte Adresse bringen, und, so stammelt der tödlich Verwundete, er möge „das Bild“ mitnehmen. Es retten. Gemeint ist der von der Wand gerissene, in Staub und Trümmern zwischen den Toten liegende „Distelfink“.

Ein Spiel von Verbrechen und Zufall

Die Rettung aber wird zum Raub. Theo wankt aus dem inzwischen von Polizei und Feuerwehr umstellten Museum, in einer verbeulten Tasche verbirgt er die Leinwand des unschätzbar wertvollen Gemäldes. Das geschieht wie in Trance und doch im Bewusstsein, dass der „Distelfink“ die letzte Erinnerung an seine Mutter bedeutet, die zu ihm vor ihrem Tod noch von ihrer Liebe zu dem kleinen Gemälde gesprochen hatte.

Es zeigt auf einem grünen Kasten an einer sonst kahlen Wand den grauschwarzgoldenen Vogel, der ohne Käfig doch gefangen ist durch eine dünne Kette am Bein. Kasten und Fink werfen dabei auf die helle Wand einen sonderbar dunklen Schatten. Natürlich spielt Theos Geschichte nun auch im Schatten des leicht rätselhaften Bildes. Auch er bleibt verstrickt, verkettet in ein Spiel aus Unheils- oder Glücksfällen, in ein Spiel von Liebe, Verbrechen und Zufall.

Der Film macht die Geschichte noch komplizierter

Der irische Regisseur John Crowley (2015 Oscar-nominiert für die Einwanderergeschichte „Brooklyn“, nach einem Drehbuch von Nick Hornby) stellt dabei einzelne Episoden und Personen des Romans akribisch nach, doch inszeniert er mehr Stationen als einen epischen Fluss oder gar ein dynamisches Drama Sein Skript stammt diesmal von keinem kongenialen Kopf wie Hornby.

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Drehbuchautor Peter Straughan hat den auf mehreren Zeit- und Motivebenen spielenden, über tausendseitigen Roman von Donna Tartt durch zusätzlich forcierte Rückblenden weiter kompliziert. Die Schlüsselszene im Museum kommt so nicht zu Beginn, sondern erst nach etwa 80 Minuten. Dazu sehr viel innere Erzählstimme, mit der die Regie berichtet, statt die Handlung mit filmischem Eigensinn auch mal frei vom Text in sinnliche, sinnhafte Bilder zu übersetzen.

Welttheater als Kammerspiel

So bleiben vornehmlich die erwähnten einzelnen Gesichter. Um die Figuren herum fehlt indes fast alle Außenwelt. Die Kamera von Roger Deakins kennt überwiegend nur Nahaufnahmen oder Halbtotalen. Welttheater als Kammerspiel. Und Handlungsorte wie New York oder das Metropolitan Museum, Las Vegas oder Amsterdam sind trotz eines 45-Millionen-Dollar-Budgets bis zur fast Unkenntlichkeit sparsam gefilmt, als sei’s eine bestenfalls ambitionierte deutsche TV-Produktion.

Ansel Elgort (l) als erwachsener Theo Decker und Aneurin Barnard als Boris.
Ansel Elgort (l) als erwachsener Theo Decker und Aneurin Barnard als Boris.

© Macall Polay/Warner Bros./dpa

Der erwachsene Theo (Ansel Elgort) wirkt darin statuarisch, ohne Besessenheit und Panik im Hinblick auf das versteckte Gemälde. Seine Mutter (Hailey Wist) ist zuvor bloß ein Schemen, und eine der Hauptfiguren, den mit feinen Fakes arbeitende Möbelrestaurator und Antiquitätenhändler Hobie (Jeffrey Wright), umweht hier keinerlei Hauch von Ab- oder Hintergrund.

Nicole Kidman als Upper-Class-Lady

Zu dieser Oberflächenglätte passt auch, dass der ansonsten eindrucksvolle Oakes Fegley als junger Theo nach der Explosion im Museum zwar im Gesicht allerhand Staub abgekriegt hat, aber die Kinderkrawatte kaum einen Millimeter verrutscht erscheint.

Prominent in der ganzen Besetzung ist einzig Nicole Kidman. Sie bringt als zart gebrochene Upper-Class-Lady und neuer Mutter-Ersatz für den verwaisten Theo etwas Flair ins Spiel und schafft szenenweise ein emotionales Zentrum.

Als Mrs. Barbour mit dem erwachsenen Theo am Ende wie ein Paar in einem Spiegel erscheint, und die Einstellung überblendet zum jungen Theo mit seiner leiblichen Mutter vor dem „Distelfink“, ist das immerhin: ein Bild, das ohne viel Worte etwas von der gemeinten Geschichte erzählt.

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