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Kultur: Bewährungsgelegenheiten

Das könnte Ärger geben.Nicht im Ausland, aber unter uns.

Das könnte Ärger geben.Nicht im Ausland, aber unter uns.Wie in den letzten Jahren fast schon zum (guten!) Brauch geworden, hat die Jury zur Vergabe des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels auch dieses Mal wieder eine Entscheidung getroffen, die man kontrovers aufnehmen wird.Daß es dabei so hoch hergeht, wie vor drei Jahren, als es die Islamforscherin Annemarie Schimmel traf, dürfte allerdings auszuschließen sein.Zu unumstritten ist der Rang des Gekürten.Martin Walser, einer der bedeutendsten Schriftsteller der deutschen Nachkriegsliteratur, Chronist bundesdeutschen Lebensgefühls, mit seinen ersten Romanen Erneuerer der deutschen Prosa, später Maßstäbe setzend durch seine programmatische Rückehr zum klassischen Erzählen, Martin Walser also kann sich als Romancier der einhelligen Bewunderung, ja Liebe seiner Landsleute sicher sein.Aber dieser Preis ist ein Politikum.Und mit seinen politischen Essays und Statements hat sich Walser vor allem in den letzten zehn Jahren auch Feinde gemacht, bevorzugt unter deutschen Intellektuellen.Der Stein des Anstoßes: sein unbefangenes Verhältnis zum Nationalen, sein unumwundenes Bekenntnis: "Etwas Nationales ist schön".Daß sich Walser dabei stets als Kritiker deutscher Zustände präsentierte, daß er als pronociert bescheidener Patriot betrachtet werden muß, entging denjenigen, die sofort schwarz, um nicht zu sagen braun sehen, wenn ein Deutscher ja zu seiner nationalen Prägung sagt.In ihrer Begründung hat die Jury nun hervorgehoben, Walser sei dafür auszuzeichnen, daß er schon früh "die deutsche Teilung als überwindbaren Zwischenzustand bezeichnete", womit er eine "Forderung vorweggenommen habe", die "später von den Menschen in der DDR erzwungen worden" sei.Und die bis heute nicht eingelöst ist! Das weiß auch Walser und spart, Polemiker von Graden, der er ist, nicht mit Spott, wenn es darum geht, seinen lieben Deutschen im allgemeinen und seinen linken Kritikern im besonderen angesichts ostdeutscher Wehleidigkeit und westdeutscher Siegerallüren ins Stammbuch zu schreiben: "Meistens zeigen uns unversucht gebliebene Nachgeborene, wie sich die Väter, Großväter, Urgroßväter hätten benehmen müssen, damit sie vor dem moralischen Besserwissen der gänzlich Unversuchten bestehen können.Manchmal könnte man meinen, heute gebe es überhaupt keine aktuelle Möglichkeit mehr, sich politisch-moralisch zu bewähren, deshalb inszenierten die morallüsternen Nachgeborenen ihr Bessersein ausschließlich auf den katalaunischen Feldern von gestern und vorgestern.Vielleicht erfahren sie einmal durch ihre Enkel, welche Bewährungsgelegenheiten sie zu ihrer Zeit, also heute, versäumt haben." Das sind Walsers "deutsche Sorgen", wie er sie nennt.Daß es sich bei ihnen um unser aller Sorgen handeln sollte, mahnt diese Preisverleihung an, die nicht auf die Bonner, sondern auf die noch zu schaffende Berliner Republik zielt. TK

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