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Biennale: Die Welt ist nicht genug

Auf der 53. Biennale di Venezia spielt die Krise keine Rolle. Die Kunst beschäftigt sich lieber mit sich selbst.

Sie ist die Mutter aller Biennalen: Vor 114 Jahren begann in Venedig der Länderwettstreit um den schönsten Kunstpavillon. Seitdem haben sich die Biennalen weltweit multipliziert, fast jedes Land besitzt heute eine eigene. Der singulären Bedeutung der Biennale di Venezia vermochte das bislang nichts anzuhaben. Und doch stellt sich in diesem Jahr die Frage, ob die Wirtschaftskrise womöglich Folgen für den großen internationalen Kunstauftrieb an der Lagune hat. Mehr Publikum denn je drängte am Eröffnungstag in die Giardini, als ob die gezeigten Werke als Garant dafür taugten, dass die Kunst in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit tatsächlich etwas zu sagen vermag.

Die Hoffnung wird enttäuscht. Die Kunst hat keine Antworten parat, nur Fragen. Die ungemütlichste wird ausgerechnet im deutschen Pavillon gestellt. „Wie würden sie sich verhalten?“, hat der britische Künstler Liam Gillick seine Installation genannt – einer der umstrittensten Länderbeiträge. Der Künstler habe sich blamiert, sagen die einen. Wenigstens zum Nachdenken animiere er, urteilen die anderen. Den schlichten Küchenmodulen aus Tannenholz, die Gillick im leer geräumten Bau nebeneinander aufstellen ließ, ist Gedankenschwere jedenfalls nicht anzusehen. Ebenso wenig der ausgestopften Katze auf einem Regal, die – per Lautsprecher – ihre vermeintlichen Gedanken zum Besten gibt.

Sprengkraft besitzt diese banale Anordnung allemal, denn Gillick bewegt sich mit seiner Installation auf der Zeitskala hin und her. Der 1938 erbaute Pavillon ist klassische NS-Architektur, deren Grundlagen bei den Errungenschaften der Moderne, beim Bauhaus zu suchen sind. Vom Bauhaus leitet sich die Idee der Einbauküche ab, die Gillick zitiert. Die Architekturgeschichte des deutschen Pavillons hat die Künstler schon immer provoziert. Hans Haacke schlug Anfang der neunziger Jahre die Bodenplatten klein, und Isa Genzken erklärte ihn bei der letzten Biennale zur Baustelle, indem sie ihn mit Schutzvorhängen ummantelte. Diesmal wurde er zuvor saniert und erscheint zunächst wie eine harmlose Architektur, die für ihre Vergangenheit nicht haftbar gemacht werden kann. Gillick hakt trotzdem nach, indem er „Was wäre wenn?“Fragen stellt. Wie wäre die Geschichte verlaufen, wenn die Moderne nicht in die Hände der Nazis gefallen wäre?

Die Auseinandersetzung mit dem Ausstellungsort ist typisch für Venedig, denn die jeweilige Pavillonarchitektur repräsentiert eine Nation, während die Giardini für den Kunstbetrieb in seiner Gesamtheit stehen. Steve McQueen filmt deshalb die verlassenen Gärten in ihrer poetischen Wintertristesse. Baumaterial liegt herum, Hunde schnüffeln im Dreck, Strichjungen warten bei Dunkelheit auf Kunden. McQueen zeigt die andere Seite der Glamourkunstwelt. Wie gefährdet deren Sonnenseite ist, zeigt der dänische Pavillon, den das Duo Elmgreen & Dragset mit dem benachbarten Nordischen Pavillon als Sammlervilla eingerichtet hat. Sie steht zum Verkauf: Noch hängen als Kunst deklarierte Pappschilder von Bettlern an der Wand. Die Ironie wird von der Wirklichkeit eingeholt.

Die großen nationalen Pavillons präsentieren diesmal eher schwache Arbeiten. Bei den Russen pumpt Andrei Molodkin höchst symbolträchtig abwechselnd Öl und Blut von Überlebenden des Tschetschenien-Kriegs in eine gläserne Nike von Samothrake. Siege haben ihren Preis, so die banale Erkenntnis. Claude Leveque treibt das Publikum aus dem schwarz ausgekleideten französischen Pavillon mit Stahlgittern und wehenden Fahnen, indem er es akustisch bedröhnt. Seine Installation „Le Grand Soir“ als Erinnerung an den Vorabend der französischen Revolution jagt einem kalte Schauer über den Rücken.

Miwa Yanagi veranstaltet im japanischen Pavillon einen schaurigen Hexentanz. Gigantische Fotografien von Frauen mit welken Brüsten und wilden Haaren gemahnen an den grausamen Alterungsprozess, den kein Voodoo und kein Hüpfen im Film aufhalten kann. Auch die USA überzeugen nicht. Die Retrospektive für Bruce Nauman kommt einfach zu spät, längst wird der Bildhauer und Konzeptualist von den großen Museen gewürdigt. Hier hätte man sich eine mutigere Entscheidung gewünscht.

Anregender die Kunst der kleineren Nationen. Zu den besten Inszenierungen zählt der holländische Pavillon mit Fiona Tans Filminstallation, die mit traumschönen Bildern auf den Spuren von Marco Polo wandelt und zugleich ihre eigene wechselhafte Biografie als Tochter einer Chinesin und eines Australiers thematisiert. Den Migranten ist auch Krzysztof Wodiczko im polnischen Pavillon gefolgt. Sie erzählen hinter transparenten Projektionswänden von ihren mühsamen Wegen ins gelobte Land. Zu den anrührendsten Orten gehört der finnische Pavillon, in dem Jussi Kivi die riesige Feuerwehrsammlung seiner Kindheit in den sechziger Jahren ausbreitet. Im Gegensatz zu dieser Spielzeugwelt stehen die russischen Fluchtanleitungen für den Bunker im Falle eines nuklearen Kriegs.

Das Beste dieser 53. Biennale findet sich jedoch nicht in einem der Pavillons, sondern in der Sonderausstellung. Der schwedische Kurator Daniel Birnbaum hat dieses Zusatzangebot, das bisher mit einem gewissen Überdruss absolviert wurde, unter dem Titel „Weltenmachen“ rehabilitiert. Birnbaum, Rektor der Frankfurter Städelschule, legt im ehemaligen italienischen Pavillon neue Perspektiven frei, indem er Künstler zusammenbringt, die man so noch nicht zusammen sah.

So sorgt die Kombination von Sherrie Levines monochromen Gemälden, Lygia Papes bunten Papierfaltungen und den farbigen Fotopapieren von Wolfgang Tillmans, die es mit jeder Malerei aufnehmen können, für einen großen, verbindenden Moment. Der Höhepunkt: eine Hommage an Blinky Palermo, dessen 1976 für die Biennale gebaute „Himmelsrichtungen“ nun rekonstruiert werden, als Installation aus vier riesigen bunten Scheiben, die auf Stahlträger über Eck gesetzt werden.

Birnbaum holt sich wie gegenwärtig viele Kuratoren seine Rückversicherungen aus der Kunst der siebziger Jahre, bei Gordon Matta-Clark, von dem er den Film „Tree Dance“ zeigt, bei Öyvind Fahlström, dessen „Letzte Mission des Dr. Schweitzer“ in Gestalt von Pappfiguren re-inszeniert werden. Mag der zweite Teil von „Weltenmachen“ im Arsenale auch an Dichte verlieren, so hatte Birnbaum, der Rikrit Tiravanija einen neuen Buchladen gestalten und Tobias Rehberger ein Café poppig bunt einrichten lässt, mit seiner Künstlerwahl eine glückliche Hand. Während Thomas Saraceno einen Saal mit Schnüren verspannt und sternenförmige Gebilde knotet, öffnet Nathalie Djurberg im Geschoss darunter einen bösen Garten Eden, der aus überdimensionalen Fantasieblumen besteht und dazwischen Raum für ihre pornografischen Knetfiguren-Filme lässt. Selten sind sich Himmel und Hölle in der Kunst so nahe.

Auch das steckt in der Kunst: Sie kann die eigenen Abgründe und Höhenflüge offenbaren. Politische Aktualität ist weniger von ihr zu erwarten. Meist zeigt sich ja erst im Nachhinein, wie viel Zeitgeschichte ein Werk tatsächlich in sich trägt. Wer letzte Wahrheiten sucht, wird sie auf der Biennale di Venezia nicht finden.

Biennale di Venezia, bis 22.11.; Informationen: www.labiennale.org

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