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Alles neu. Plötzlich kann man Bismarck, dessen Hamburger Denkmal hier gereinigt wird, auch hören.

© dpa

Ein Kanzler im Medienwechsel: Bismarcks Mixtape

Dass Bismarck plötzlich spricht, ist eine Sensation. Was er spricht, ist indes eher kurios als denkwürdig. Und gibt doch zu denken: darüber, wie neue Medien wahrgenommen werden. Ein Exkurs.

Man wüsste gern, was den Mann bewegte: War es tatsächlich Humor oder die grandiose Unterschätzung dessen, was er da vor sich hatte? Oder hielt Bismarck das einfach für angemessen: die Rezitation als eine dem Politiker zugängliche Kunstform, der Vortrag selbst als ein Gruß aus dem Reich in die USA und in das jüngst besiegte Nachbarland Frankreich? Bereitete er sich akribisch auf seinen „Auftritt“ vor dem Walzen-Phonographen vor oder redete er aus dem Stegreif? Egal, was es war, dass den Reichskanzler davon abbrachte, sich nicht - wie nach Expertenaussagen vorbereitet - mit einer Rede politisch zu äußern, sondern mit genau dieser Performance in die Geschichte der Tonaufzeichnung einzugehen: Es lässt nun, bald 125 Jahre später, in jedem Fall aufhorchen. Dass Bismarck den Nachgeborenen ein krudes Mixtape mit gesprochenen Fragmenten aus Corpsliedern, (internationaler) Folklore, Marseillaise und einem Ratschlag an den Sohn vermachte, das erscheint – nun, da es entdeckt und eine Sensation ist – auch und vor allem eins: komisch.

Über das Verhältnis der Menschen des vorvorigen Jahrhunderts zu den ständigen medialen Neuerungen in ihrer Lebenswelt ist viel geschrieben worden. Dass dabei (etwa im Werk Walter Benjamins) Geräte zur Tonaufzeichnung zunächst deutlich weniger im Mittelpunkt standen als Fotografie und Film, mag auch an Performances wie denen Bismarcks gelegen haben. Nicht, dass man die Neuerung nicht für spektakulär befunden hätte, das dokumentiert die ebenfalls aufgetauchte Tonspur des Helmuth von Moltke: „Der Phonograph ermöglicht, dass ein Mann, der schon lange im Grabe ruht, noch einmal seine Stimme erhebt und die Gegenwart begrüßt“, konstatierte der ganz richtig. Im Gegensatz zur Fotografie, die nahezu direkt nach ihrer Erfindung in Konkurrenz zumindest zur Porträtmalerei tritt, beschreibt das freilich eher die Eigenheiten einer Kuriosität. Und tatsächlich: Viel mehr als Grüße und ein Faust-Zitat, das in diesem Kontext eindeutig als Misstrauensbekundung gegenüber dem mechanischen Widerpart gewertet werden muss, wurde dann auch Moltke nicht los. „Ihr Instrumente spottet mein/Mit Rad und Kämmen, Walz’ und Bügel:/Ich stand am Thor, ihr solltet Schlüssel sein;/Zwar euer Bart ist Kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.“

Gerade die jetzt aufgetauchten Tondokumente zeigen eins recht deutlich: Außer Musikern wussten seinerzeit offenbar nur wenige, spontan etwas mit der Möglichkeit anzufangen, Töne aufzuzeichnen. Angesichts der Klangqualität der Walzen, die zwar direkt nach der Aufzeichnung besser als heute, aber immer noch mies gewesen sein dürfte, ist das auch nur zu verständlich. Allen auch nur ansatzweise lyrischen oder bedeutungsvollen Umtrieben schnitt der ächzende Phonograph das Wort ab. Gerade zu Anfang verzeichnete er auf so stoische wie dürftige Art und Weise verrauschte, lebensferne Frequenzen – ein Umstand, den auch der kürzlich verstorbene Medientheoretiker Friedrich Kittler zum Thema machte: Es sei kein Zufall gewesen, konstatierte der in seinem „Grammophon, Film, Typewriter“, dass am Ende Thomas Edison und nicht der eigentliche erste Erfinder des Phonographen, der Pariser Bohémien Charles Cros, das Gerät schließlich zur Serienreife brachte. Denn: Während der eine, Cros, später dichtend von „voix aimées“, geliebten Stimmen, und den „reve musical de l’heure trop brève“, dem Musiktraum allzu kurzer Stunde, schrieb, die es festzuhalten gälte, brüllte der andere bei seinen ersten Aufzeichnungsversuchen zunächst ein „Hulloo“ ins Mundstück und kreischte wenig später das Kinderlied „Mary had a little lamb“. Das hatte, wie Kittler trocken und richtig bemerkte, eins wie das andere denkbar wenig mit geliebten Stimmen und musikalischen Träumen zu tun.

„Lieber ein gutes Trinklied als eine schlechte Rede“

Es mag da nicht weiter verwundern, dass Kaiser und Zar seinerzeit im Angesicht des komischen Geräts abwinkten und der Reichskanzler nur – man muss es vor dem Hintergrund heutiger Hörgewohnheiten in dieser Deutlichkeit sagen – unzusammenhängenden Quatsch rezitierte. Nicht alle werden die Sensibilität eines Rainer Maria Rilke gehabt haben, der, wie er in dem ebenfalls von Kittler zitierten Text zum „Ur-Geräusch“ von 1919 schreibt, schon als Schuljunge den vom Lehrer im Physikunterricht vorgeführten Phonographen als „überraschend, ja recht eigentlich erschütternd“ wahrgenommen haben will.

„Man stand gewissermaßen einer neuen, noch unendlich zarten Stelle der Wirklichkeit gegenüber“ – dass sich von dieser, so emphatisch beschriebenen Stelle nun ausgerechnet der kühle Bismarck zu Wort meldet und mit ihr offenbar so gar nichts anzufangen weiß, ist so kurios, wie es den Möglichkeitssinn anregt: Wie werden zukünftige Generationen unsere Versuche beurteilen, neue Medien zu nutzen?  Welches Potenzial welcher technologischen Entwicklung haben wir bis dato nicht erkannt? Wo müssten wir (noch) schneller sein? Und was wäre, demgegenüber, Fortschrittshysterie?

Schon bekommen wir eine Ahnung, dass Bismarck verspotten heißen könnte, sich selbst zu verspotten. Und richtig: Wer sich etwa mit der fantastischen „Wayback Machine“ des „Internet Archives“ in die jüngere Vergangenheit des Netzes, der medialen Veränderungsmaschinerie unserer Tage, transportieren lässt, findet schnell Dinge, die gerade darin, wie belanglos sie aus heutiger Sicht wirken, beinahe so fern scheinen wie der verrauschte Reichskanzler. Wer sich auf diesem Weg etwa die ersten dokumentierten Internetauftritte der Bundesregierung oder – auch heiß – des Tagesspiegels aus dem Jahr 1996 durchsieht, der merkt schnell, auf welch wackligen Beinen das hohe Ross der Gegenwärtigen steht. So täppisch erscheint, was diese deutlich jüngeren „Vorfahren“ dort aus den Möglichkeiten des Netzes machten, so krude, was sie in welcher Gewichtung und in welcher Anmutung hier für erwähnenswert hielten.

Und so souverän erscheint da schon wieder Bismarck: Wie der in der entdeckten Aufzeichnung den Anspruch der aus heutiger Sicht historischen Stunde unterlief, wie er sich – sei es aus Unwissen, sei es ganz bewusst – der auratischen Aufladung seiner Worte entzog, indem er nur denkbar dürftig mit anderen Zungen redete, das hat durchaus Vorbildcharakter. Frei nach dem Motto „Lieber ein gutes Trinklied als eine schlechte Rede“ versäumte Bismarck es, der Welt etwas über sein Land und der Nachwelt etwas Eindeutiges über seine Zeit mitzuteilen. Angesichts der im besten Sinne erratischen Tracklist, die bei alledem herausgekommen ist, möchte man sagen: Danke dafür!

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