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Kultur: Blut und Tränen

Böse Kinderspiele: Antonio Chavarrías’ Psychothriller „Dictado“ im WETTBEWERB.

Die Spanier spinnen. Immer wieder, nicht nur beim letzten Almodóvar oder bei „Mad Circus“ von Alexis de la Iglesias diese Verweigerung der emotionalen Volljährigkeit als Voraussetzung jeder anderen. Wenn Madonnen blutige Tränen weinen, gilt das in Spanien noch immer als Ausweis ihrer Echtheit und Schönheit gleichermaßen, argwöhnte unlängst Volker Schlöndorff.

Blut und Tränen. Nicht, dass es dieses Paar im Kino sonst nirgends gäbe – aber es gibt eben auch eine besondere spanische Variante der Verbindung beider besonders herznahen Human-Liquide.

Nun also „Dictado“ von Antonio Chavarrías. Welcher Irrtum hat diesem notdürftig getarnten geistigen Splatter-Trash den Weg in den Berlinale-Wettbewerb geebnet?

Zwei Freunde haben sich lange nicht mehr gesehen, und das ist auch gut so, denn die beiden haben als kleine Jungen mal ein Mädchen lebendig begraben. Dass sie ins leere Grab stieg, war eine Mutprobe. Sie nicht wieder rauszulassen, auch. Was Kinder so spielen. Und nun besucht der eine Freund, ein erfolgloser Schriftsteller, den anderen am Vorabend seines Selbstmordes und sagt, der müsse unbedingt seine kleine (mutterlose) Tochter kennenlernen. Dann setzt er sich zu seinem Kind in die Badewanne und schneidet sich die Pulsadern auf.

Wir wagen nichts über den Nationalcharakter dieses suizidalen Arrangements zu vermuten. Nur so viel: Manchmal mutet das spanische Kino an, als seien seine Urheber Überlebende eines solchen Vollbads mit ihren Eltern.

Der übrig gebliebene Freund, von Beruf Lehrer (Juan Diego Botto), nimmt auf Drängen seiner Freundin die kleine Tochter des anderen zu sich – nur vorübergehend, wie er immer wieder betont. Bei Antonio Chavarrías ist das lange genug, den Lehrer zuverlässig erkennen zu lassen: Die Kleine ist die Begrabene von vor dreißig Jahren! Eine Wiedergängerin! Ja, das gibt es, zumindest bei Chavarrías, hoffentlich noch nicht im spanischen Bildungswesen. Zweiter Showdown am offenen Grab mit Schaufel.

Man kann „Dictado“ auch gut mit geschlossenen Augen sehen, denn die Tonspur übertrifft als Gehhilfe, nein Sehhilfe, die musikalische Zumutung jedes mittelmäßigen Fernsehkrimis.Kerstin Decker

12.2., 15.15 Uhr (Friedrichstadtpalast), 12.2., 22.45 Uhr (Haus der Berliner Festspiele), 13.2., 21.30 Uhr (Passage Neukölln)

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