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Kultur: Boom des Barock

Liebhabern der Alten Musik ist fast alles zuzutrauen. Wie wäre es sonst möglich, dass es dem Freiburger Barockorchester seit drei Jahren gelingt, eine eigene Abonnementsreihe auf dem an Kammerorchestern nicht eben armen Berliner Musikmarkt einzurichten?

Liebhabern der Alten Musik ist fast alles zuzutrauen. Wie wäre es sonst möglich, dass es dem Freiburger Barockorchester seit drei Jahren gelingt, eine eigene Abonnementsreihe auf dem an Kammerorchestern nicht eben armen Berliner Musikmarkt einzurichten? Und dabei noch mit Vorliebe unbekannte oder gar anonyme Kompositionen zu präsentieren? Wie wäre einem Off-Ensemble wie der Berliner Kammeroper sonst das Wunder gelungen, sein junges Publikum mit einem politischen Tendenzstück zum Ende des Pfälzischen Erbfolgekriegs von 1697 von den Stühlen zu reißen? Dazu in einer Stadt, in der Darmsaiten und Naturtrompeten noch vor wenigen Jahren als nostalgische Werkzeuge einer biologisch abbaubaren Musik verspottet wurden.

Sicher: der Alte-Musik-Boom auf dem CD-Markt (der Anteil der Alten Musik an der Klassik stieg in den letzten Jahren auf etwa 50 Prozent) hat den Spezialensembles viele neue Chancen eröffnet. Doch allein von der Begeisterungsfähigkeit des "Originalklang"-Publikums können die fast immer auf eigenes Risiko agierenden jungen Ensembles nicht leben. Sie sind darauf angewiesen, dass ihnen Festivalleiter, Konzertveranstalter, Radiosender oder Opernhäuser ein Forum schaffen. Noch immer ist sie von Zufälligkeiten und einzelnen Förderern abhängig, die das Potenzial des historischen, vom Mittelalter bis Mendelssohn reichenden Repertoires erkannt haben.

Klingender Beleg für den Erfolg solchen Weitblicks ist die Akademie für Alte Musik Berlin. Ihre Arbeit wurde jetzt auf der Midem in Cannes, der größten Musikmesse der Welt, mit dem Cannes Classical Award ausgezeichnet - dem einzigen internationalen Preis für Klassische Musik überhaupt. Zur Weltspitze spielte sich das Ensemble durch die gefeierte Barockopernreihe der Staatsoper Unter den Linden.

1992, zum 250. Jubiläum des Hauses, erweckte hier der Dirigent René Jacobs "Cleopatra e Cesare", Carl Heinrich Grauns Eröffnungsoper von 1742, wieder zum Leben - damals noch mit dem Westimport Concerto Köln. Zum ersten Mal bekam das Berliner Publikum einen Eindruck davon, was Barockoper sein kann: Überbordende Koloraturen, waghalsige Kadenzen, lustvoll improvisierte Verzierungen und eine Musik, deren Sinnlichkeit, Feuer und Swing selbst Kenner überraschte. Jacobs wurde zum Kultstar einer neuen, jungen, hungrigen Berliner Barockopernszene: Als Berater für das vorklassische Repertoire holte er eine Kostbarkeit nach der anderen aus den Archiven und er tat es schon bald mit einem aufstrebenden Ensemble aus dem Osten der Stadt: der Akademie für Alte Musik. Plötzlich lernte die Lindenoper ein Publikum kennen, das vor Begeisterung durch die Finger pfiff.

Dennoch wurde die Serie nach acht Jahren abgesetzt- nicht zuletzt zu Gunsten von Daniel Barenboims aufwändigen Wagnerprojekten. Noch einmal wird René Jacobs zum Ende von Georg Quanders Intendantenzeit am 7. Februar Joseph Haydns komische Oper "Il mondo nella luna" dirigieren. Was danach geschieht, ist ungewiss: Verlängert ist der dieses Jahr auslaufende Beratervertrag mit Jacobs offiziell noch nicht. Und der künftige Intendant Peter Mussbach hat noch immer kein deutliches Bekenntnis zur Alten Musik abgelegt. Hoffen lässt, dass das Freiburger Barockorchester für eine Aufführung von Händels "Rinaldo" an der Lindenoper gebucht ist.

Auch eine andere Instanz der Szene gibt Anlass zur Sorge: Letztes Jahr gab Marcus Creed seinen Posten als künstlerischer Leiter des RIAS-Kammerchors auf. Anders als Jacobs gefiel sich der kantige Mann, der mit stets gerötetem Kopf und strengem Blick dirigiert, nie in der Rolle des Stars. Aber für die Alte Musik hinterlässt er in der Stadt eine gefährliche Lücke. Er war es, der aus dem Chor ein Spitzenensemble für die Neue und die Alte Musik machte. Er war es auch, der das Freiburger Barockorchester erstmals zur Zusammenarbeit in den Kammermusiksaal der Philharmonie lockte. Noch musiziert Creed als Gastdirigent an alter Wirkungsstätte und noch suchen die international renommiertesten Barock-Orchester die Nähe des Chors: In dieser Saison die Akademie für Alte Musik, das Orchestre des Champs Élysées und Concerto Köln. Eine Persönlichkeit, die Sinn für historische Aufführungspraxis, Neue Musik und lupenreinen Chorklang in sich vereint, wird so leicht nicht wieder aufzutreiben sein. Weswegen man sich wohl oder übel Zeit lassen will bei der Suche nach dem Creed-Nachfolger.

Nicht mehr lange soll es dagegen dauernbis ein neues Festival für Alte Musik in Berlin präsentiert wird: Es startet am 14. April und heißt "zeitfenster". Es wird von den Musikmangern Folkert Uhde und Tilmann Harckensee betreut und soll Dank Lottostiftung eine Biennale "mit internationaler Ausstrahlung" werden. Damit soll die Kluft geschlossen werden, welche die 2000 abgewickelten Bachtage hinterlassen haben.

Im Kammermusikbereich hat sich dagegen mit fünfundzwanzig bis dreißig Konzerten jährlich die ausgesuchte Reihe "Alte Musik live" im Musikinstrumentenmuseum etabliert: Sie steht seit 1996 unter dem soliden finanziellen Schutz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Andere Veranstalter haben es derweil schwer, zu überleben: Die exquisite Pionierreihe der Friedenauer Kammerkonzerte, die René Jacobs schon vor Jahrzehnten in ihren winzigen Räumlichkeiten präsentierte, kann nur bestehen, weil die Universität der Künste den Saal als Konzertraum übernimmt. Und Gerhard Oppelts ehrgeiziges Projekt, das an der Elisabeth-Kirche in Mitte Forschung, Instrumentenbau und Aufführung vereinigen wollte, kocht auf kleinster Sparflamme befristeter ABM-Verträge weiter.

Wie aber könnte man der heterogenen Szene endlich mehr Gewicht verleihen? Die Musikmanager Uhde und Harckensee haben einen Vorschlag. Sie möchten eine Barockopern-GmbH gründen. Diese könnte als Produktions- und Veranstaltungsplattform ein Bindeglied zwischen den festen Institutionen und der freien Szene bilden. Und sie könnte selbstständig Sponsorengelder einwerben. "Doch ohne politische Unterstützung als Türenöffner geht es nicht" sagen sie. Und hoffen, dass sich nach Creed, Quander und Jacobs auch einmal ein Kultursenator daranmacht, das musikalische Altgold der Szene aufzulesen.

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