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Rom: Brötchen und Spiele

Römische Rezepte: ein Bäcker vom Starnberger See lernt in der Villa Massimo die römische Backkunst kennen.

Mittagszeit. Ich komme gerade zurück vom Campo de’ Fiori, dem Blumenmarkt, der doch so sehr den Nahrungsmitteln dient, dass hier jedes weitere Gewerbe schnell pleitegeht. Es ist der römischste und der touristischste Platz der Stadt, in der Nacht kollabiert er regelmäßig. Heute früh um sieben war er leer, die Stände wurden unter vielerlei Schwätzchen aufgebaut und die sonst strengen Polizisten schauten zur Seite, als Josef Wagner und ich im VW-Bus mit deutschem Kennzeichen in die Fußgängerzone einbogen. Das war eingefädelt von Fabrizio Roscioli und Bernardino Bartocci, den Bäckern des Antico Forno Campo de’ Fiori. Im Laderaum hatten wir 300 Kilo deutsches Mehl, Brezelsalz, Vanille, Kürbiskerne, Bakterienkulturen für Sauerteig und Werkzeug. Andere Länder, andere Sitten, haben wir den Wagen stehen gelassen und zusammen erst einmal einen caffé getrunken.

Josef Wagner ist Bäcker aus Münsing am Starnberger See und für sieben Wochen borsista, Stipendiat der Villa Massimo, der Deutschen Akademie in Rom. Zweierlei hat ihn hierher geführt. Zum einen geht es um Essen, Ernährung und gastrosophische Parameter, zum anderen um die strategische Überlegung, die Akademie über die klassischen Kunstsparten hinaus für Kreativität zu öffnen – ein Versuch mit offenem Ausgang. Also nimmt die Villa Massimo im Rahmen eines zweijährigen Pilotprojekts für je zwei Monate Personen aus Berufsfeldern auf, die mit den Künsten korrespondieren. In diesem Jahr sind das Valentina Simeonova (Oper), Josef Wagner (Bäcker), Christine Birkle (Kostümdesign), Till Verclas (Kunstdruck) und Friedrich Forssmann (Typografie).

Da die Villa Massimo auch die Rolle einer kulturellen Botschaft hat, stößt das Projekt in Rom auf großes Interesse – und wird mit einer gegenüber Deutschland unüblichen Mischung aus Respekt und Amüsement registriert. Wie bei den klassischen Sparten auch, verbindet sich mit den Stipendien die Hoffnung, dass die römische Erfahrung zu einer substantiellen ästhetischen Weiterbildung führt. Josef Wagner wird mit seinen italienischen Kollegen im Antico Forno arbeiten, ab drei Uhr morgens, täglich außer sonntags. Er wird lernen, wie man eine köstliche Focaccia macht. Oder einen Panettone, eines der am schwierigsten herzustellenden Gebäcke überhaupt. Er wird hinuntergehen in die verwinkelten Keller des ehemaligen Gasthauses Vacca Hospitalis („Zur gastfreundlichen Kuh“), in dem Lucrezia Borgia ihr Leben verbracht und ausgehaucht hat, vorbei an den antiken Säulen eines Gebäudes des Pompejus (hier lagen sein Theater, sein Zirkus und seine Kurie, in der Caesar unter den Stichen der Verschwörer zusammenbrach) die als Stützen des später errichteten Hauses übrig geblieben sind, um sein bayrisches Mehl zu holen. Und der geschätzten Kundschaft wird auf einer Tafel im Verkaufsraum mitgeteilt, dass nun auch Brezeln und Kürbiskernbrot im Angebot sind.

Deutsche Brötchen werden bei 240 Grad 18 Minuten gebacken, italienische bei 265 Grad 12 Minuten. Deutsche Brötchen sind dicht und gleichmäßig und halten noch die feinste Marmelade an der Oberfläche, italienische haben ein großes Loch in der Mitte, damit so feine Dinge wie Mozzarella und dick aufgeschnittene Salami darin verschwinden. Deutsche Brötchen gelten Italienern als unbrauchbar, die italienischen Löcher im Teig bei uns als Defekt. Deutsche und Italiener haben in ihrer regionalen Zerrissenheit, ihrem Mangel an Nationalgefühl und einer aristokratisch verfeinerten Küche also manches gemeinsam und verhalten sich zueinander doch wie das schiere Gegenteil. Man sieht es auch in der Ernährung.

Ernährung und Zubereitung sind kulturelle und politische Indikatoren ersten Ranges. Deshalb musste irgendwann ein Bäcker zu uns stoßen, weil sich auf diese Weise ohne Worte, aber mit Geschmack und Ästhetik zeigen lässt, wie sehr man bei allem Anderssein einander trotzdem respektieren kann. Wie sagte Herr Roscioli heute früh? Mit einer Pizza bianca öffne ich jede Tür. Das kann Josef Wagner auch. Mit einer Brezn.

In der Nähe des Antico Forno liegt die Via dei Monti di Farina, die Straße der Mehlberge. Im 15. und 16. Jahrhundert war sie voller Bäckereien, hinten die Mehlberge für den Teig, nach vorne wurde verkauft. Die berühmtesten Künstler, Wissenschaftler und Kardinäle der Renaissance spazierten die Straße hinunter oder ließen hier Brot und Küchlein einkaufen, und die Bäcker waren allesamt Deutsche. Nach den sozialgeschichtlichen Renaissance-Studien des Berliners Knut Schulz und des Römers Arnold Esch weisen es die Notariatsregister aus jener Zeit eindeutig aus: Rom aß einst deutsches Brot. Mal sehen, ob wir da anknüpfen können.

Der Autor ist Direktor der Villa Massimo in Rom.

Joachim Blüher

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