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Bodenständiger Bayer. Joseph Vilsmaier (24. 1. 1939 - 11. 2. 2020) hat „Schlafes Bruder“ und „Comedian Harmonists“ gedreht.

© Imago/Michael Handelmann

Zum Tod von Joseph Vilsmaier: Bruder Herzblut

Berg, Krieg, Musik: Der Regisseur Joseph Vilsmaier ist mit Heimatfilmen und Historiendramen bekannt geworden. Ein Nachruf.

Der Mann ist nackt. Er liegt zusammengekrümmt auf einem großen Findling im Fluss. Wie ein Opfertier auf Gottes Altar. Wild rauscht der Bergbach. Der Mann zittert. Sein absolutes Gehör lässt ihn alles überdeutlich wahrnehmen. Die Geräusche der Natur, den Herzschlag ungeborener Kinder, das Pulsieren des Universums. Die Kamera scheint direkt in den Himmel zu sausen. Ein visueller Trip übersteigerter Wahrnehmung.

Die Szene aus „Schlafes Bruder“, die André Eisermann als Elias, ein im Bergdorf Befremden erregendes verkanntes Genie zeigt, gehört zu den unvergesslichen Kinobildern der neunziger Jahre.

Komm, oh Tod, du Schlafes Bruder

Geschaffen hat sie der Regisseur und Kameramann Joseph Vilsmaier. „Komm, oh Tod, du Schlafes Bruder.“ Diesem Bach-Choral hatte Robert Schneider den Titel des Romans entlehnt, den Vilsmaier 1995 verfilmte.

Das so pittoreske wie esoterische Melodram über Liebesleid, Bergbauernschroffheit und Künstlertum erregt international Aufsehen. Joseph Vilsmaier geht damit ins Rennen um Golden Globes und den Oscar und wird mit nationalen Filmpreisen überhäuft.

Selbst die Kritiker sind gnädig mit ihm, was dem „Watschenmann des deutschen Kinos“, wie ihn die „Süddeutsche Zeitung“ einmal tituliert, nicht eben häufig wiederfährt. Sie beschimpfen seine Filme, die meist historische Stoffe beackern, regelmäßig als zu sentimental, schablonenhaft, klischeebeladen und plakativ. Was dem kommerziellen Erfolg seiner Dramen aber keinen Abbruch tut.

Herbstmilch, die Lebenserinnerungen einer Bäuerin

Nur bei Vilsmaiers eindrucksvollem Debüt „Herbstmilch“ sind Publikum und Presse noch mehr als bei „Schlafes Bruder“ angetan. Tatsächlich bleibt sein erster Kinofilm sein bester, trotz der 15, die darauf folgten.

Die in Mundart und fast dokumentarisch gedrehte Verfilmung der Lebenserinnerungen der Bäuerin Anna Wimschneider überzeugt mit ihrer realistischen Darstellung des harten Arbeits- und Familienlebens. 2,3 Millionen Menschen sehen das Von-Null-auf-Hundert-Debüt eines Newcomers im reichlich fortgeschrittenen Alter.

Joseph Vilsmaier ist fast fünfzig, als er 1988 den Sprung ins Regiefach wagt. Zuvor war er Techniker, der sich bei der Bavaria Film vom Materialassistenten zum Kameramann hocharbeitete und bei vielen Film- und Fernsehproduktionen die Kamera führte.

Joseph Vilsmaier war nicht nur Regisseur, sondern auch Kameramann.

© Gero Breloer/dpa

„Herbstmilch“ realisiert der Selbermacher, der später auch eine eigene Produktionsfirma gründet, mit privat geliehenem Geld. „Egal, ob ich untergehen würde, diesen Film musste ich einfach machen“, sagt er später.

Niederbayern, das war vertrautes Terrain für das am 24. Januar 1939 in München geborene und in Niederbayern aufgewachsene Kriegskind. „Ich wusste einfach, wie die Leute ticken.“ Seine weder diffamierende noch idealisierende Darstellung macht „Herbstmilch“ zu einem der frühen Neo-Heimatfilme, der endlich mal das Bäuerinnenleben schildert.

Deftige Emotionalität ist sein Markenzeichen

Krieg, Nachkriegszeit und die bayerisches Heimat – das sind Joseph Vilsmaiers Anliegen. 1997 verfilmt er die durch den Nationalsozialismus beendete Geschichte der Musikgruppe Comedian Harmonists. Sein Biopic „Marlene“ kommt im Jahr 2000 bei der US-Kritik deutlich besser als bei der deutschen an.

„Stalingrad“, „Leo und Claire“, „Der letzte Zug“, der TV-Zweiteiler „Die Gustloff“ – immer wieder thematisiert er die Schrecken des Krieges und der Judenverfolgung. Allesamt Filme, die nicht durch ihre subtile, differenzierte Darstellung, sondern durch die deftige Emotionalität wirken, zu der sich Vilsmaier bekannt hat. Sein Umgang mit komplexen Themen war mitunter naiv, aber gutwillig.

Sein letzter Film kommt im November ins Kino

Familie und Film gehörte gleichermaßen sein Herzblut. Seine Frau, die tschechische Schauspielerin Dana Vávrová, die auch in „Herbstmilch“ die Hauptrolle spielte, hat gemeinsam mit ihm Regie geführt und weitere Hauptrollen gespielt, 2009 starb sie an Krebs. Ein harter Schlag für die Familie. Auch die drei Töchter spielten schon als Kinder in den Filmen der Eltern mit.

Wie sich das für einen auch mal saftig grantelnden Bajuwaren gehört, endet Joseph Vilsmaiers Laufbahn wie sie begonnen hat: mit einem Heimatfilm. Daran hat der am Dienstag im Alter von 81 Jahren gestorbene Regisseur bis zuletzt gearbeitet.

„Der Boandlkramer und die ewige Liebe“ kommt am 5. November ins Kino. Hape Kerkeling und Michael Bully Herbig spielen mit. Herbig hat bei ihm 2008 schon in „Der Geschichte vom Brandner Kaspar“ den Boandlkramer gespielt. Schlafes Bruder also – den Tod.

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