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Harter Schnitt: „Leonce und Lena“ am DT Berlin. Foto: Arno Declair

© Arno Declair

Büchner im Boot Camp: Das Deutsche Theater spielt „Leonce und Lena“

Ulrich Rasche inszeniert in Berlin eine radikal dunkle Version von „Leonce und Lena“. Die kleine Komödie wird mit anderen Werken aufgeladen.

Ulrich Rasche ist der Schleifer, der Drill Sergeant unter den Regisseuren. In seinen Inszenierungen herrscht Dunkelheit, ein harter, schroffer Ton wird angeschlagen und über Stunden minimal variiert. Er prügelt auf Texte ein, prügelt die Seele heraus. Schillers „Räubern“ am Münchner Residenztheater hat das Boot Camp gut getan. Auch Sarah Kanes „4.48 Psychose“ am Deutschen Theater Berlin gewinnt in diesem Stahlgewitter an Klarheit und Dringlichkeit.

Georg Büchner aber wird zum Opfer hier. Die hessischen Behörden haben den jungen Dramatiker verhört und steckbrieflich gesucht. Büchner floh nach Straßburg, dann nach Zürich, wo er 1837 starb, mit 23 Jahren. Rasche dröhnt „Leonce und Lena“ in einem bald dreistündigen Gewaltakt brutal zu.

„Leonce und Lena“ hatte Büchner für einen Stückewettberwerb geschrieben. Ohne Erfolg. Die Originalfassung ist nicht überliefert. Das Lustspiel schenkt auch als Fragment – oder eben deshalb – einen speziellen Charme und eine Komik, die an Depression grenzt. Wenn Büchner sich über die existenzielle Langeweile und Verlorenheit des Adels amüsiert, denkt er wohl an sich selbst und seinen revolutionären Ekel, der sich in „Dantons Tod“ zum poetischen Nihilismus auswächst. Prinz Leonce und sein Diener Valerio bewegen sich zwischen der Commedia dell’arte und Calderóns Träumerei. Sie sehnen sich nach Freiheit von allen Ämtern und Zwängen, auch in der Liebe und der Religion.

Rasche will es anders. Er sperrt Büchner ein in seinem eigenen Werk, lädt den verspielten Text mit Brocken aus dem „Hessischen Landboten“ auf, Büchners politischer Flugschrift. „Denn was sind diese Verfassungen in Deutschland? Nichts als leeres Stroh ...“: Aus dem Zusammenhang geschnitten, mit weit aufgerissenen Augen skandiert, klingt das plötzlich wie rechtsradikales, antidemokratisches Gebrüll. Ein übler Dreh.

Rasche lässt kaum Zwischentöne zu. Seine Truppen treten enervierend auf der Stelle, laufen gegen die Drehbühne an, stehen unter Strom, Zombies in spärlicher Einheitskluft, getrieben von wummernder, wabernder Live-Musik. Rasche hat nur diese eine Methode drauf. Marschieren, funktionieren, exekutieren. Ein Neongitter schwebt über dem Exerzierplatz. Ein Fenster wie im Gefängnis, eine Damokles-Folter? Rasches Bühnenbild führt ein Eigenleben. Es besitzt erhabene Kraft, darunter ringen die Menschen um Atem und Würde.

Bei Büchner werden die Brautleute mal schnell in Automaten verwandelt, ein damals modischer Trick. In Rasches Regime wird die Mechanisierung durchgezogen von Anfang bis Ende. Ein gemeines Trauerspiel. Man hat durchaus Lust zwischendurch, den Stecker zu ziehen.

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