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Elke Erb

© dpa

Büchner-Preis für Elke Erb: Emigriert in die Lyrik

Geboren wurde sie in der Eifel, ihr Eigensinn schärfte sich am Prenzlauer Berg: Elke Erb erhält den Büchner-Preis. Eine Würdigung.

Nicht nur im Sport, auch in der Literatur gibt es so etwas wie Geheimfavoriten. Dass die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung nun 82-jährige, in Berlin und in der Lausitz lebende Schriftstellerin Elke Erb mit dem mit 50.000 Euro dotierten Georg-Büchner-Preis ehrt – nach wie vor die bedeutendste Auszeichnung ihrer Art im deutschsprachigen Raum – war überfällig.

Das wäre es allerdings auch im Falle anderer Autorinnen und Autoren gewesen, doch die hin und wieder erratischen Entscheidungsprozesse innerhalb der Deutschen Akademie haben etwa dafür gesorgt, dass Peter Kurzeck büchnerpreislos gestorben ist. Es wäre also keine Überraschung gewesen, wenn auch Elke Erb leer ausgegangen wäre.

Nun bekommt sie den Preis, und es lässt sich aus dieser Entscheidung eine so schöne wie seltsame Kontinuität ableiten: Vor knapp drei Wochen wurde 80 Jahre alte Helga Schubert beim virtuellen Klagenfurter Wettlesen mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet, auch sie eine Schriftstellerin, die mit der Bezeichnung „DDR-Autorin“ so simpel wie nur zum Teil zutreffend umschrieben wurde.

Aufgewachsen in Armut

Das gilt erst recht für Elke Erb. Geboren 1938 in dem Eifeldorf Scherbach, wuchs sie in Armut und mit den Entbehrungen der Kriegszeit auf und übersiedelte 1949 mit ihren Eltern in den neuen deutschen Staat, die DDR. Erb studierte Germanistik und Pädagogik in Halle, absolvierte das Lehrerexamen und arbeitete bis 1965 als Lektorin beim Mitteldeutschen Verlag, bevor sie sich freie Schriftstellerin nannte. Von 1967 bis 1978 war Erb mit dem Lyriker Adolf Endler verheiratet.

Das Schlagwort des Eigensinns, das sich auf das Werk jedes ernst zu nehmenden Schriftstellers beziehen lässt, trifft auf Elke Erb gleich im doppelten Sinne zu. Zum einen legte sie sich in den achtziger Jahren mit der Staatsmacht an, indem sie als Herausgeberin der Anthologie „Berührung ist nur eine Randerscheinung“ mit Gedichten von Autoren aus der Prenzlauer-Berg-Szene fungierte. Der Band konnte 1983 nur im Westen erscheinen; ein Vorstoß von Hermann Kant, Erb aus dem Schriftstellerverband der DDR auszuschließen, scheiterte allerdings.

Widerständiges, verspieltes Schreiben

Zum anderen ist es Erbs widerständiges, verspieltes, auf totale Freiheit basierendes Schreiben selbst, das sie zu einer Ausnahmeerscheinung hat werden lassen. Für Lyrikerinnen und Lyriker gleich mehrerer Generationen wurde sie zum Orientierungspunkt. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung zeichnet, so die Begründung, eine Lyrikerin aus, deren Gedichte „sich durch eine prozessuale und erforschende Schreibweise aus, in deren Verlauf die Sprache zugleich Gegenstand und Mittel der Untersuchung ist.

Elke Erb gelingt es wie keiner anderen, die Freiheit und Wendigkeit der Gedanken in der Sprache zu verwirklichen, indem sie sie herausfordert, auflockert, präzisiert, ja korrigiert.“ Wie die verknappte, präzise Sprache Material bleiben und zugleich in einem Werk geformte Gestalt werden kann, zeigt sich bei Erb daran, dass sie mitunter ein kurzes Gedicht mit ausufernden Selbstkommentaren über viele Seiten hinweg ergänzt.

Dieses „prozessuale Schreiben“, wie sie es nennt, ist weder Selbstzweck noch Selbstkorrektur, sondern eine eigenständige Kunstform, die Erb perfektioniert hat. Sie folgt der Erkenntnis, dass ein Gedicht keine abgeschlossene Form ist, sondern einen permanenten Wandel und ein Bewusstsein abbildet, das nicht linear, nicht geordnet und nicht homogen strukturiert sein muss.

Das Ich unter dem Bewusstsein

In einem bemerkenswerten Kurzfilm aus dem Jahr 2013, den der Filmemacher Frank Wierke für die Literaturwerkstatt Berlin gedreht hat, zeigt Elke Erb ihr mit Büchern bedecktes Bett („Da ich immer wieder schlaflos bin, habe ich jede Nacht freie Arbeitszeiten“) und sagt dann den Satz: „Du musst das unter dem Bewusstsein liegende Ich sprechen lassen.“

Früher, so erzählt Erb, habe sie Kinder dazu aufgefordert, zwölf selbstgewählte Wörter auf ein freies Blatt zu schreiben – „da bekommst du von jedem Kind eine Charakteristik seiner selbst. Und da ist schon eine wirkliche, ursprüngliche Kraft von Poesie.“

In dem 2008 erschienenen Band „Sonanz“ sind Erbs sogenannte 5-Minuten-Notate gesammelt. Über drei Jahre hinweg hat Erb jeden Tag fünf Minuten lang in ihr Notizbuch geschrieben, was ihr gerade einfiel. Diese Selbsterkundungen sind vor allem Spracherkundungen, immer wieder durchsetzt mit einem verblüffenden Humor.

In drei Staaten gelebt

Ein Preis, vor allem der Büchner-Preis, setzt ein Signal. Elke Erb ist eine Schriftstellerin mit einem Lebenswerk, genauer: mit einem erlebten Werk. Ob die in der Satzung der Akademie formulierte Forderung, man wolle mit dem Büchner-Preis Schriftsteller auszeichnen, die „durch ihre Arbeiten und Werke in besonderem Maße hervortreten und die an der Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens wesentlichen Anteil haben“, noch zeitgemäß ist, darf diskutiert werden.

Die Schriftstellerin Nora Bossong twitterte vor drei Tagen: „Mir ist es völlig wurscht, ob ein*e Autor*in gern Netflix sieht. (...) Ich bin für Elke Erb dieses Jahr. Gelebt in drei Staaten, früh emigriert in die Lyrik.“ Elke Erb schreibt in einem Gedicht aus dem Jahr 1998: „Freilich können Langsame auch/schnell sein, Schwung nehmen,/tun ja nichts anderes all die Zeit, als/ihre Karrenochsenfasern auf!!/zu wiegeln.“ Es hat einige Jahrzehnte gedauert. Nun hat die Geheimfavoritin gewonnen.

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