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''Messiah'': Doppelschlag in der Philharmonie

Das "Festivalensemble Stuttgart 2009" präsentiert sich in der Philharmonie als ein musikpädagogisches Wunder. Sein Schöpfer ist Helmuth Rilling, Stern der Stuttgarter Bachpflege, dessen Ruhm von der Landeshauptstadt in die Welt dringt.

Rilling gründete, gründet und gründet – gebunden an seine Geburts- und Studienstadt: die Gächinger Kantorei, heute mit Sitz in Stuttgart wie ihr Partner, das Bach-Collegium, die Internationale Bachakademie, aus der die Stuttgarter Akademiekonzerte, Bachwoche und das Musikfest Stuttgart hervorsprießen. Das geht seit mehr als einem halben Jahrhundert so. Das Land Baden-Württemberg darf sich mit dem Träger seiner „Großen Staufermedaille in Gold“ repräsentiert fühlen, ob in Israel, Korea oder den USA, wo Rilling künstlerischer Leiter des von ihm mitbegründeten Oregon Bach Festival ist. Von dort geht (mit der Akademie) der Auftrag aus, Händels „Messiah“ mit einer neuen Vertonung seines Textes zu konfrontieren.

Nun steht der Mann im weißen Haar vor einem gemischten Chor, dessen Mitglieder alle unter dreißig sind. Zirka 60 Leute. Sie kommen aus den USA, Kanada, Russland, Neuseeland, Deutschland oder Litauen. Und sie gehorchen dem 76-jährigen Maestro aufs Sechzehntel. Die Homogenität dieses Musizierens, an die das Kammerorchester nicht ganz heranreicht, ist umso verblüffender, als das Ensemble seit seiner Gründung 2001 alljährlich neu zusammengestellt wird. Rilling dirigiert auswendig, keine besonders aufregende Lesart, und liebt die leisen Echos. In den Koloraturen funkelt ein Soloquartett mit Robin Jahannsen, Daniel Taylor, James Taylor und Michael Nagy, ohne dass die berühmten langsamen Arien wie „He was despised“ und „I know that my Redeemer liveth“ in ihrer Tiefe wahrgenommen würden. Sie tönen lieblich wie Hirtengesänge, als wäre die Passion ein Schäferspiel. Das Meisterhafte aber besteht in der mühelosen Leichtigkeit des (von Kathy Romey einstudierten) Vokalensembles. „For unto us a Child is born“ klingt so frisch und präzis, wie es sich nur wünschen lässt.

Zwei „Messiah“-Konzerte, das bedeutet viereinhalb Stunden Charles Jennens, nämlich die Worte, wie sie der Librettist aus dem Alten und Neuen Testament verknüpft hat. Die Interpreten sind dieselben geblieben, nur die Mittelstimmen des Soloquartetts ausgewechselt, als der „Messiah“ von Sven-David Sandström erschallt. Es geht in der Tat um viel Schall, weil der schwedische Komponist, der gern mit dem renommierten Kroumata Percussion Ensemble experimentiert, ein Spezialist für Schlaginstrumente ist. Das ermöglicht seiner größer besetzten Partitur, die nicht die Noten, aber die Gestik des musikalischen Vorbilds demütig aufnimmt, atmosphärische Licht- und Farbwechsel. Sandström, ein Schüler Ingvar Lidholms, huldigt der Flöte und dem A-cappella-Ideal, und die Heiden (Nr. 36) toben nicht in der Solokoloratur, sondern im Chor mit Schlagwerkdonner. Händels Da-capo-Arie um die letzte Posaune inspiriert Sandström zu einem Gemälde des Jüngsten Gerichts. Dann wieder klingt die Musik so, als sei der Messias, der seine Herde weidet, ein Bruder Lohengrins und sein romantisches Reich der Heilige Gral. Sybill Mahlke

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