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Spielsachen: Weltmeister im Handyweitwurf

Man kennt die Skandinavier nicht zuletzt als Pisa-Streber und Erfinder eigentümlicher Wettbewerbe. Christine Wahl freut sich auf seltsame Finnen und ihr Theater.

Das in Berlin zurzeit berühmteste finnische Gesicht gehört zweifellos Frau J.: jener Frau, die seit Monaten auf hiesigen Flughäfen haust und sich weigert, den Heimweg nach Helsinki anzutreten. Darüber hinaus kennt man die Finnen als Pisa-Streber und Erfinder eigentümlicher Wettbewerbe. Wer bereit ist, für einen sportlichen Erfolg Mundschleimhautverbrennungen mittleren Grades in Kauf zu nehmen, hat in Finnland zum Beispiel jährlich die Chance auf den Weltmeistertitel im Saunabaden. Ist man eher so der Armkrafttyp, kann man sein Glück bei der Weltmeisterschaft im Handyweitwurf versuchen. Oder man wirft sich seine Freundin über die Schulter und kämpft um die Siegtrophäe bei der „Weltmeisterschaft im Frauentragen“: das Gewicht der geschleppten Frau aufgewogen in Bierfässern.

„Die Finnen haben einen ziemlich eigenen Humor“, bestätigt der finnische Regiestar Mikko Roiha. Wer mehr über das Land erfahren will als solche Skurrilitäten, sollte sich Roihas Inszenierung Der kleinste gemeinsame Teiler in der Brotfabrik Weißensee ansehen (Prenzlauer Promenade 3, 20. & 21.4., 20 Uhr). Denn Roiha steigt mit seinem Gastspiel tief in die jüngere finnische Geschichte ein. Ausgangspunkt des Stückes, das auf autobiografischen Texten der Schriftstellerin Pirkko Saisio basiert, ist das Arbeitermilieu der fünfziger Jahre: Nach dem Tod ihres Vaters rollt vor einer Frau noch einmal – und, wie Roiha betont, metaphorisch für das ganze Land – ihre Lebensgeschichte ab. Identitätsfragen und Schuldverstrickungen inklusive. Gespielt wird im Original mit deutschen Übertiteln. Lektion eins: Theater heißt auf Finnisch teatteri.

Der 37-jährige Roiha, ein großer Fan des deutschen Regie- teatteris (insbesondere der Arbeiten von Gosch, Gotscheff, Thalheimer, Pollesch und Castorf), hält einen bemerkenswerten Rekord: Er hat, wie ein finnischer Kollege recherchierte, in seinem ganzen Berufsleben noch keine einzige schlechte Kritik bekommen.

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