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Das von Schinkel geschaffene Luisendenkmal in Gransee erinnert an die dortige  Aufbahrung der toten Königin 1810. Der Ort spielt eine Schlüsselrolle im Roman „Luisentor“.

© imago images/Joko

Carolin Miltenburgers Roman „Luisentor“: Erinnerungsspur nach Demmin

Warum schweigt Großvater? Autorin Carolin Miltenburger schlägt einen Bogen aus dem Berlin des Jahres 1990 zum Drama der Kriegsendes 1945 im Hansestädtchen Demmin.

Luise, immer wieder Luise. Das ist in einem Roman mit dem Titel „Luisentor“ nicht weiter verwunderlich, doch immerhin bemerkenswert, schon wenn man sich die Stellen näher ansieht, in denen die eine oder andere Luise eine Rolle spielt, die Bedeutung, die sie für das Voranschreiten der Handlung haben.

Erstmals taucht eine Luise auf Seite 49 auf, als Name des real existierenden Dahlemer Restaurants in der - logisch - Königin-Luise-Straße. Da weiß die Protagonistin, die aus der westdeutschen Provinz ins unwirtliche Berlin des Umbruchjahres 1990 verschlagene Studentin Anna, noch gar nicht, um wen es sich bei dieser Luise handelt, und muss von ihren neuen Freunden Max und Sabine aufgeklärt werden.

Ein Denkmal für die Königin

Auf Seite 111, fast genau in der Mitte des Erstlings der 1960 in Karlsruhe geborenen, nun in Berlin und Brandenburg lebenden Autorin Carolin Miltenburger, wird für Anna die titelstiftende Verbindung von Luise und ihrem Tor hergestellt: Sie fährt nach Gransee, besichtigt das dortige Schinkeldenkmal, gusseiserne Erinnerung an die öffentliche Aufbahrung der allzu früh verstorbenen Königin in der Nacht auf den 26. Juli 1810. Und erfährt von Max’ Oma, was es mit dieser ominösen, zufällig entdeckten Ansichtskarte auf sich hat, die sie bislang ohne Ergebnis herumgezeigt hatte.

Das Luisentor ist das einzige erhaltene Stadttor der Hansestadt Demmin in Mecklenburg-Vorpommern. Benannt wurde es nicht, wie vielfach irrtümlich angenommen, nach der preußischen Königin Luise, sondern nach Wilhelmine Luise Prinzessin von Preußen, die am 5. Juli 1821 in Demmin übernachtete.

© IMAGO/Ullrich Gnoth

Die diente als Lesezeichen in einer Ausgabe von Hitlers „Mein Kampf“, die Annas Berliner Opa mit weiteren NS-Devotionalien in seiner Wohnung versteckt und die sie schockiert entdeckt hatte. Der Name des abgebildeten Backsteintores: kaum leserlich, mit eine Rasierklinge weggekratzt, irgendwas mit Luise. Und in der Tat, die alte Dame erkennt es sofort: Es ist das Luisentor in Demmin, einem Städtchen im östlichen Zentrum Mecklenburg-Vorpommerns. Bis Anna das Tor selbst durchfährt, muss die Leserschaft sich aber noch weitere 34 Seiten gedulden. Benannt ist es übrigens, was im Roman unerwähnt bleibt, nicht nach der Königin, sondern nach Wilhelmine Luise Prinzessin von Preußen, die am 5. Juli 1821 in Demmin übernachtete.

Königin Luise, das nach ihr benannte Berliner Lokal, das Denkmal in Gransee, schließlich das Tor der Prinzessin in Demmin - sie markieren Gelenkstellen der geschickt aufgebauten, erst allmählich an Spannung zulegenden Handlung.

Die spielt zwar 1990 mit dem im Umbruch befindlichen Berlin als Hauptort, ihre Wurzeln aber, auch die familiären Annas, liegen 45 Jahre zurück, gehören zu einem besonders düsteren, teils vergessenen, teils verschwiegenen, im kollektiven Gedächtnis jedenfalls kaum präsenten Kapitel deutscher Geschichte.

Massensuizid am Kriegsende

Demmin - das war ein ehemaliges, vom Krieg lange verschont gebliebenes Hansestädtchen, dessen Idylle Ende April 1945 mit dem Vorrücken der Roten Armee zerbrach. Rasch war die Stadt von Flüchtlingen und fliehenden deutschen Truppen völlig überfüllt. Wehrmacht und SS sprengten beim Rückzug die Brücken über Peene und Tollense, nahmen der Zivilbevölkerung die Möglichkeit der Flucht.

Angesichts massiver Übergriffe der nachrückenden sowjetischen Soldaten kam es in der Folge zu einem Massensuizid mit geschätzt weit über 1000 Menschen, darunter unzähligen Kindern, die von ihren Eltern mit in den Tod genommen wurden.

Auch dies ist Anna anfangs völlig unbekannt, erst allmählich kann sie durch unentwegtes Fragen und Forschen das Dunkel in der Familiengeschichte lichten, das Geheimnis in der Vergangenheit ihres vermeintlichen Großvaters lüften, ein für alle Beteiligten schmerzhafter, aber auch befreiender Akt.

Die Leserschaft ist ihr da immer ein Stück voraus. Wiederholt wechselt die Autorin die Perspektive, richtet mal den Fokus auf die der Wahrheit allmählich sich nähernde Anna, mal auf den von seinen Erinnerungen geplagten, sie dennoch verschweigenden Großvater. „Gemeinsam weiter dämmern. Gemeinsam an allem vorbeigucken und keinen beim Vergessen stören“ - so hat er es immer gehalten, und mit ihm wohl viele seiner Generation. Bis Anna kam und sich sagte: „Gemeinsam erinnern macht Sinn“.

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