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Das ist nicht lustig, findet Martin Sonneborn in Bezug auf die sarkastisch-satirische Reaktion der "Titanic" auf das Pariser Massaker in der Redaktion von "Charlie Hebdo". Sonneborn war von 2000 bis 2005 selber Chefredakteur des deutschen Satireblatts.

© dpa

"Charlie Hebdo" und die deutsche Satire: "Das 9/11 der Satiriker"

Kann man mit beißendem Humor auf Terror reagieren oder verbietet sich das? Darüber streiten sich die deutschen Satiriker Martin Sonneborn, Florian Schröder und die "Titanic".

Als die Nationalsozialisten im Januar 1933 die Macht übernahmen, erschien im Deutschen Reich monatelang keine Ausgabe der „Fackel“, der von Karl Kraus seit 1899 herausgegebenen satirischen Zeitschrift. In der Oktoberausgabe 1933, der einzigen Ausgabe der „Fackel“ in diesem Jahr, veröffentlichte Kraus das Gedicht „Man frage nicht“, das mit den Zeilen fortsetzt: „…was all die Zeit ich machte. Ich bleibe stumm; und sage nicht, warum.“

Nach dem Anschlag auf das Satire-Magazin „Charlie Hebdo“, bei dem zwölf Menschen getötet wurden, reagierte die Redaktion des deutschen Satire-Magazins „Titanic“ mit einem „Liveticker in eigener Sache“. „TERRORHINWEIS: Für 16 Uhr ist in der Redaktion eine Pressekonferenz angesetzt, bei der RTL, Hessischer Rundfunk, Frankfurter Rundschau und weitere (...) Medien anwesend sind. Für Terroristen bietet sich die Möglichkeit, nicht nur eine Satireredaktion auszulöschen, sondern die gesamte deutsche Lügenpresse. Es gibt Schnittchen (hinterher)!“

Sonneborn: "Bei Titanic kann sowas nicht passieren, wir haben nur 6 Redakteure"

Der frühere „Titanic“-Chef Martin Sonneborn schrieb auf Facebook: „Mit Anzeigen, Abokündigungen oder Kalaschnikow-Geballer auf Satire zu reagieren, gilt in der Szene als unfein. Unser Mitleid gilt den Franz. Kollegen. Bei Titanic könnte so etwas nicht passieren, wir haben nur 6 Redakteure.“

Ist das witzig? Geschmacklos? Zynisch? Angemessen angesichts des Massakers in einer Zeitschriften-Redaktion? Kurt Tucholsky hat mal gesagt: „Was darf Satire? Alles. “ Am Mittwoch twitterte jemand: „Satire darf alles. Nur nicht sterben.“ Der Kabarettist Florian Schröder hält es dagegen für unangemessen, mit drastischer Gegen-Satire auf den Pariser Anschlag zu reagieren. „In meinen Augen verbietet es sich, aktuell darüber Witze zu machen, egal wie gut sie sind“, so Schröder zur „Badischen Zeitung“. Was die „Titanic“ mit dem Liveticker gemacht habe, sei hart an der Grenze zur Geschmacklosigkeit. Für die „Titanic“ als deutsches Schwester-Magazin von „Charlie Hebdo“ findet er es jedoch irgendwie vertretbar, auch wenn er bei Weitem nicht so heftig reagiert hätte.

Keine Zensur für angemessene Verarbeitung

Sicher, ein Massaker mit zwölf Toten ist kein Anlass, einen Satirikerstreit vom Zaun zu brechen. Ein Anlass zum Innehalten schon. „Natürlich können Satiriker auf die ungeheuerlichen Vorgänge antworten, und das tun sie am besten, wenn sie ihren Beruf ausüben, wie eh und je auf eigene Verantwortung“, meint Klaus Staeck, Karikaturist und Präsident der Berliner Akademie der Künste. Es sei aber unangemessen, angesichts der Ereignisse zynisch zu werden. In einer Demokratie müsse man Freiheit aushalten, auch die Freiheit zu spotten.

Der Kabarettist Frank Lüdecke wiederum „möchte eigentlich keine Zensuren dafür verteilen, welche satirische Verarbeitung der Geschehnisse um „Charlie Hebdo“ angemessen ist oder nicht“. Es „verbiete“ sich gar nichts. Die völlig sinnlose Tat sei von allen als Angriff auf die freie Meinungsäußerung gewertet worden. Diese Freiheit könne nicht durch Vorgaben des Geschmacks oder weltanschaulicher Vorbehalte eingeschränkt werden. Er habe jetzt das Bedürfnis nach Zusammenhalt, nicht nach Trennendem.

Florian Schröder sagt, es gelte, weiter Satire über jene Themen zu machen, die „Charlie Hebdo“ wichtig waren – aber nicht über das Massaker selbst. „Was in Paris passiert ist, erscheint mir wie das 9/11 der Satiriker. ,Charlie Hebdo’ waren und sind großartige Humoristen. Das Einzige, was im Sinne derer ist, die diesem furchtbaren Anschlag zum Opfer gefallen sind: dass wir jetzt weiter Satire machen, voller Überzeugung und mit viel Kraft.“

Es muss ja kein Liveticker sein. Das Karl-Kraus-Gedicht endet so: „Das Wort entschlief, als jene Welt erwachte.“ Mit welchen Worten und Zeichnungen wohl die Chef-Karikaturisten von „Charlie Hebdo“ auf einen Anschlag wie diesen reagiert hätten?

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