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Lanfang

© Berlinale

Wettbewerb: Chinas erster Weltstar

Im Februar 1930 brachte Mei Lanfang das New Yorker Publikum zum Toben, Bertold Brecht bewunderte ihn. Chen Kaige erzählt das Leben von Chinas erstem Weltstar in "Forever Enthralled".

Am 16. Februar 1930 erlebte New York einen Auftritt, der selbst in der weltläufigen Kulturmetropole die Grenzen des Vorstellbaren sprengte: Der Pekingoperndarsteller Mei Lanfang führte im 39th -Street- Theater ein chinesisches Volksmärchen auf, vor leerer Bühne, in bunter Maske und prachtvollen Gewändern, mit durchdringendem Falsett und atemberaubender Akrobatik. Das Publikum tobte, die Kritik überschlug sich, das Nationaltheater räumte für Mei kurzerhand die nächsten drei Wochen frei. Zu seinen Bewunderern zählten Charlie Chaplin, Douglas Fairbanks und Bertolt Brecht, der sich von diesem Schauspiel für sein episches Theater inspirieren ließ.

47 Jahre nach Meis Tod hat Regisseur Chen Kaige das Leben von Chinas erstem Weltstar verfilmt. Mit „Forever Enthralled“ („Für immer verzaubert“), der am heutigen Dienstag im Berlinale-Palast Premiere hat, erhofft sich Chen ein großes Comeback. Denn der 56-Jährige, der in den Achtzigern zusammen mit Zhang Yimou das chinesische Kino der Reform-Ära begründete, hat nach dem Welterfolg mit seinem ersten Pekingopernfilm, „Lebe wohl meine Konkubine“ (1993) fast nur Flops produziert. In China lief der Film bereits im Dezember an – dort ging die Rechnung auf: „Forever Enthralled“ füllte wochenlang die Kinosäle und löste eine lebhafte Debatte über die einst so populäre Pekingoper und über kulturelle Identität aus.

In den Jahrzehnten des kommunistischen Bildersturms und des aufbruchsfiebrigen Traditionsverlusts ist die Pekingoper zur Nationalfolklore erstarrt, bestenfalls führt sie ein Nischendasein in der von Seifenopern und Karaoke geprägten Entertainmentindustrie. Die Mehrheit der Chinesen hat noch nie live eine Pekingoper gesehen, man kennt sie höchstens als buntes Beiprogramm in TV-Galas oder Restaurants für neureiche Großstädter. Der Staatssender CCTV strahlt zwar in einem der Unterhaltungskanäle Pekingopern aus, aber man sieht den Aufnahmen an, wie lustlos die Fernsehbeamten ihre Kulturauftragspflichten erfüllen.

Umso schmerzhafter führt der Film den Chinesen vor Augen, wie lebhaft diese Kultur einmal war. Chinesische Zeitungen monieren, dass die Zahl der Darsteller mittlerweile so klein sei, dass Regisseur Chen keinen geeigneten Hauptdarsteller finden konnte. Seine Wahl fiel daher auf den Hongkonger Leinwand Sunnyboy Leon Lai, der keinerlei Pekingopernausbildung hat.

Das klassische Training begann schon im Kindesalter. Mei Lanfang, 1894 in eine Pekingoperndarstellerfamilie hineingeboren, stand schon mit elf Jahren auf der Bühne – als Spezialist für Frauenrollen. Schauspielerinnen waren am Hof nicht erlaubt. 1911, nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs, trat Mei in Schanghai auf und wurde als der „Mann, der weiblicher ist als jede Frau“ zum Star. Er gründete seine eigene Operntruppe und ging als erster Darsteller international auf Tournee. Als die Japaner im Zweiten Weltkrieg große Teile Chinas besetzten, schlug er sich auf die Seite der Kommunisten und stand mit auf dem Tor des Himmlischen Friedens, als Mao dort die Volksrepublik ausrief.

Der Kommunismus sollte der Pekingoper zum Verhängnis werden. Kurz nach Meis Tod 1961 brach die Kulturrevolution aus. Die roten Garden brandmarkten seine Familie als Rechtsabweichler, Meis Witwe wurde der Kopf geschoren, alle Pekingopern wurden verboten und durch ein kleines Repertoire an Modellopern ersetzt. Wie viele andere fürchtet auch Chen Kaige, der mit Meis Kindern aufwuchs, dass es für eine Erneuerung zu spät ist. Freilich hofft Chen, der öffentlich gerne den Kulturpessimisten gibt, dass sein Film daran doch noch etwas ändert. Mythen sind bekanntlich mächtig: 2008 wurde in der Hauptstadt ein nach Mei Lanfang benanntes Pekingoperntheater eröffnet.Bernhard Bartsch

Charlie Chaplin, Douglas Fairbanks und Bertolt Brecht

feierten den Peking-Opernstar

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