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Kultur: Christian, Hanns Martin und ich

Selbstfindungen, Geisterbeschwörungen: Wie Beuys, Richter und junge Künstler die RAF sehen

Eine Unverschämtheit! Die Mona Lisa mit dem Gesicht der Meinhof, die Augen artig niedergeschlagen, die Hände brav übereinander gelegt, nur das berühmte Lächeln fehlt. Künstler dürfen das: eine Ikone der Kunstgeschichte mit einer Figur der Zeitgeschichte zu einem bissigen Kommentar auf Kultur und Gesellschaft verschmelzen. So frech, so pointiert gelingt das allerdings nur einer jüngeren Generation, und auch nur solchen Vertretern, die nicht in Deutschland aufgewachsen sind. Scott King ist Brite, Jahrgang 1969 und als Artdirector von Szenezeitschriften und Grafikdesigner von Plattencovern bekannt. Von ihm stammt auch das umstrittene „Prada Meinhof“Logo, das als T-Shirt-Aufdruck den Weg in die Boutiquen fand.

Eine Verirrung! schallte es noch bei der jüngsten Präsentation von Gerhard Richters Stammheim-Zyklus (1988) im Rahmen der MoMA-Schau in der Neuen Nationalgalerie. In der Kunstwerke-Ausstellung fehlt zwar dieses Hauptwerk unter den künstlerischen Verarbeitungen des RAF-Phänomens – es kehrte nach New York zurück. Aber das MoMA stellte zehn Tafeln des gigantischen Foto-Atlas von Gerhard Richter zur Verfügung, auf denen sich der Künstler nach Fertigstellung des gemalten Zyklus erneut mit den Fotodokumenten auseinandersetzte. Auch hier die unscharfen Aufnahmen der Zellenansichten, des berühmten Plattenspielers, in dem sich Baaders SelbstmordWaffe befand. Richter hat den Terrorismus als Beobachter hautnah erlebt. Seine Gemälde und Foto-Tableaux sind keine Flucht in die Indifferenz, wie ihm bis heute zum Vorwurf gemacht wird, sondern Versuch eines tastenden Begreifens.

Ist das nun besser als die „Mona Meinhof“-Sottise eines britischen Artdiredtors oder die jugendlichen Gewaltfantasien einer amerikanischen Nachwuchskünstlerin, wie sie Sue de Beer in ihrer Videoinstallation „Hans & Grete“ zum Besten gibt? Die RAF-Ausstellung urteilt nicht. Sie stellt 52 Kunstwerke gleichwertig nebeneinander, ebenso, wie sie den Besucher mit der Fülle des Archivmaterials allein lässt. Hier wiederholt sich eine Kuratorenpraxis, wie sie schon bei der Wehrmachtausstellung angewandt wurde. Der Besucher soll sich bitteschön sein eigenes Bild machen. Nach den Auseinandersetzungen im Vorfeld ist man vorsichtig geworden.

Sind also sämtliche Teilnehmer Historien-„Maler“ oder zumindest politische Künstler, weil sie sich alle – mal mehr, mal weniger ernsthaft – mit einem Trauma der deutschen Nachkriegsgeschichte befassen? Im weitesten Sinne ja, denn sie verarbeiten ein gesellschaftliches Dilemma: Bilder zu finden für ein bis heute schwarzes Loch, das selbst die abertausenden Film- und Fotodokumente jener Jahre nicht füllen können.

Die RAF-Ausstellung gibt einen Zwischenstand, denn ein Ende der Bildproduktion ist nicht absehbar. Dafür waren die damaligen Ereignisse zu einschneidend, sind die überlieferten Motive zu bildmächtig. Die Werke gewinnen teilweise ihrerseits ikonenhaften Charakter wie die beiden Demonstrationstafeln von Joseph Beuys mit der Aufschrift „Dürer, ich führe persönlich Baader + Meinhof durch die Dokumenta V“. Die auf Dachlatten befestigten Tafeln stecken in Filzpantoffeln, die mit Margarine und Rosenstielen gefüllt sind. Der Künstler hoffte 1972 tatsächlich, auf diese Weise die beiden Terroristen zu „resozialisieren“, wie er in einer begleitenden Aktion erklärte. Ein Irrglaube, eine Sackgasse, wie auch die gegen die Wand gerichteten Pantoffeln konstatieren.

Wo sich Beuys als Zeitgenosse noch gesellschaftspolitisch engagierte, animiert das Phänomen Terrorismus die heutigen Künstler zur Selbstbefragung. Johannes Wohnseifer (Jahrgang 1967) baut einen Schrank, den Maßen des Schleyer-Verstecks entsprechend, in den er eine SkaterRampe platziert. Der Titel „Spindy“ greift das Codewort der Entführer auf. Als Zehnjähriger hatte Wohnseifer unweit der konspirativen Wohnung in Erftstadt-Liblar, wo der Arbeitgeber-Präsident gefangen gehalten wurde, mit dem Skateboard seine Runden gedreht. Fragt sich, was Skateboard Fahren mit der RAF zu tun hat. Ganz einfach und boshaft: Skater gelten als die „new urban terrorists“. Auch Bettina Allamoda (Jahrgang 1964) begegnet auf der Suche nach den Terroristen letztlich sich selbst. „Christian, Hanns Martin und ich“ (1992) heißt ihre Siebdruck-Serie; in einer Diaschau verknüpft sie Fotodokumente von damals mit Erinnerungen an ihre Teenagerzeit.

Der Deutsche Herbst ist keine historische, vergangene Jahreszeit. Er lebt fort in den Köpfen, in der Kunst. Das verwundert nicht, doch lässt es erschaudern in der Anhäufung einer Themenausstellung. Die RAF bleibt ein Faszinosum, das, zumal auf Künstler, anziehend wirkt. Sie beschwören die Geister. Bannen könnnen sie sie nicht.

Kunstwerke, bis 16. 5.; Katalog 45 €.

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