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© Illustration: Noyau

Cartoons: Krise? Welche Krise?

Zornig, sarkastisch und grotesk: Der Schweizer Zeichner Noyau kommentiert mit seinem Sammelband „Die Chronik der Krise“ den wirtschaftlichen Niedergang.

Was bedeutet eigentlich das Wort „Krise“? Noch bevor es das Internet, Google oder Wikipedia gab, zog man für eine solche Begriffserläuterung ein Wörterbuch zu Rate. Dem Kinde wurde der Zugang grafisch mittels „Was ist Was“-Büchern erleichtert. Da die wirtschaftliche Krise eng mit dem Internet verbunden ist und dadurch die Objektivität der Online-Nachschlagewerke getrübt scheint, erfreuen sich die grafischen und textlichen Erklärungsmodelle wieder größter Beliebtheit. Neben dem Wissen der Masse positionieren sich einzelnen Künstler und Autoren und präsentieren ihre unabhängigen Perspektiven. Der junge Schweizer Verlag Walde + Graf hat nun mit „Die Chronik der Krise“, einer Sammlung von 49 politischen Cartoons des Schweizer Comiczeichners Noyau, ein solch alternatives Erklärungswerk veröffentlicht, ergänzt durch einen einleitenden Aufsatz des Psychoanalytikers Peter Schneider.

Wie der Titel bereits verkündet, will der handliche, schön produzierte Band seinen Lesern die Stationen der Krise noch einmal vor Augen führen. Die einzelnen Karikaturen hat Zeichner Noyau in den vergangenen zwei Jahren für die Schweizer „SonntagsZeitung“ angefertigt. Was in der Zeitung als Kommentierung der alltäglichen Ereignisse lief, wird bei der Darstellung in komprimierter Buchform zu einer grafischen Schussfahrt: Auf jede neue Schreckensnachricht folgt ein weiterer Milliardenverlust, eine weitere Insolvenz mit einer geradezu wahnwitzigen Geschwindigkeit.

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Vorausschauend. Auch eine Hergé-Hommage findet sich in Noyaus Werk.

© Illustration: Noyau

Der wohl balancierte Sarkasmus der Comic-Kolumne wird in dem Buch zu einem grotesken, aber dennoch akkuraten Abbild der Krise. Doch bevor die einzelnen Stationen dieser Talfahrt begutachtet werden können, wird der Leser durch den Text ausgebremst.

Peter Schneider, bekannt geworden durch seine satirische „Andere Presseschau“ auf DRS3, (de-)konstruiert in seinem Essay „Wohin das Geld geht, wenn es verschwindet?“ die Krise als konstant instabiles Konstrukt. Der Psychoanalytiker verweist dabei auf die allgemeine Problematik, die Realität der Krise fassbar zu machen. Der Zwiespalt ergibt sich aus dem realen Verlust von Geld und der wirklichkeitsfremden Arbeit der Bänker. Schneider zieht so Parallelen zur Arbeit seines grafischen Mitstreiters Noyau, da das „Verhältnis von vermeintlich erklärendem Text und scheinbar illustrierendem Bild“ ähnlich ambivalent ist, wie das der Krise und der Realität. Was der Autor noch hätte anfügen können, ist die Tatsache, dass die Krise von vom altgriechischen Begriff krínein abstammt und so viel wie „trennen“ bedeutet. Eben diese Trennung versinnbildlicht den Zwiespalt aus dem heraus Schneider und Noyau, die Krise gekonnt beschreiben.

Der Schweizer Zeichner Noyau ist bekannt geworden durch seine politischen Cartoons. Was seine Maltechniken angeht, so wechselt Noyau diese ständig durch, von Fingermalerei bis hin zu japanischer Kalligrafie ist alles dabei.

Aber trotz unterschiedlichster Techniken strahlen all seine Werke dieselbe Einfachheit aus, die den Zugang nicht unnötig versperrt. Vielmehr lädt der Künstler ein daran teilzunehmen. Dies wird auch in „Die Chronik der Krise“ deutlich, denn ganz gleich wie kompliziert die Strukturen der Wirtschaft, die Verbindungen von Banken und Staat, die Erklärungsmodelle der Subprime-Krise auch sein mögen, Noyaus Zeichnungen wirken wie ein simples satirisches Gegengewicht für die Absurdität der außer Kontrolle geratenen Geschäftswelt. Es werden fette Bankenschweine zu Wurst verarbeitet und nackte Börsianer veralbert, die sich lediglich um ihre Kurse, nicht aber um ihre fehlende Kleidung, sorgen. Noyau bedient dabei sicherlich viele Vorurteile, doch tut er es so erbarmungslos, dass man sich sofort auf seine Seite schlagen möchte.

Während der Normalbürger um seinen Job und sein Erspartes bangt, strahlen Noyaus Protagonisten eine perverse Selbstsicherheit und ein Unverständnis über die ganze Panik aus. Während um sie herum die (Finanz-)Welt zusammenbricht, handeln sie gemütlich bei einer Zigarre ihre Boni aus. Als kleine Ergänzung hat der Verlag ein kurzes Glossar beigefügt, das einige Protagonisten dieser Krise, von Hans-Rudolf Merz zu Bernard Madoff, knapp, aber nicht weniger sarkastisch vorstellt. Die Unvereinbarkeit ihrer Handlungen deckt sich mit den im einleitenden Essay beschriebenen Problemen. Die „einhergehende Entfremdung von der konkreten, unmittelbaren, sinnlich erfahrbaren Welt“ wird grafisch verdeutlicht. Dies geschieht unter anderem durch die Ergänzung von Karikaturen über die erschreckende Wirklichkeit der Hungerkrise, die der Realität der Finanzkrise gegenübergestellt wird.

„Die Chronik der Krise“ ist nicht wie vermutet ein faktisches Zeitzeugnis der letzten zwei Jahre, sondern eine gelungen pervertierte Darstellung dessen, was Bänker in dieser Zeit angerichtet haben. Durch eine seine Überzeichnungen gelingt es Noyau, Schneiders Essay gerecht zu werden und die völlig aus den Fugen geratene Realität der Finanzkrise in seinen Karikaturen abzubilden. Im Gegensatz zur globalisierten Finanzkrise, die den Wert ihrer Güter vergessen zu haben scheint, präsentiert sich der Walde+Graf-Verlag mit „Die Chronik der Krise“ als ökonomisch arbeitendes Unternehmen, das man auch in Zukunft beachten sollte.

Noyau / Peter Schneider: Die Chronik der Krise, 64 Seiten, 16,80 Euro, Verlag Walde + Graf. Ausgewählte Werke von Noyau sind noch bis zum 31.01.2010 gemeinsam mit den Exponaten der Comic-Zeichnerin Anna Sommer im Cartoonmuseum Basel zu sehen.

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